Klezmer Explosion in Stattegg

Aliosha Biz live im Lässerhof, „Kultur findet Stattegg“, Foto Gerald Ganglbauer

Russisch-jüdisches Musikkabarett des Geigers Aliosha Biz mit dem Klezmer Trio von Moritz Weiß war Freitagabend zu Gast im Lässerhof. Die Show trug den Titel „Klezmer Explosion“, einem Begriff, den ich mir in der Pause von Moritz Weiß erklären ließ. Klezmer beschreibe die Musik der Juden Osteuropas, tragende Instrumente seien die Klarinette und die Geige. Das „Hölzerl“ (Spröck) blies der Fürstenfelder Moritz Weiß wie ein sprechendes, manchmal auch weinendes oder lachendes Wesen, dabei einfühlsam begleitet von den Grazern Max Kreuzer am Bass und Niki Waltersdorfer an der Gitarre. Das Hörerlebnis war ein spannender Spagat zwischen Tradition und Experiment, den man vielleicht mit World Jazz subsummieren könnte.

Ein Musikbeispiel aus „Klezmer Expolosion“

Zwischen den Sets gab es Kabarett. Der virtuose Aliosha Biz wuchs in Moskau auf und lebt seit vielen Jahren in Wien, kennt somit beide Kulturen aus eigener Lebenserfahrung und weiß, ihre Klischees anzuprangern, trocken zu überspitzen und gehörig zu verarschen. Jüdischer Humor ist schwer zu verstehen für nicht-Juden. Dennoch hörte man lautes Auflachen und es gab viel Applaus im vollen Haus. Seine beliebten Themen, wie „der geizige Jud“, die „dominanten Frauen“ oder die Beschneidung, bestanden auch die kleinen eingestreuten Peinlichkeiten. Bei der ans Publikum gerichteten Aufforderung, alle beschnittenen Männer sollten ihre Hand heben, war es jedoch mucksmäuschen still im Saal. Nach dem Konzert traf ich das Trio am üppigen Merchandise-Tisch und stellte ihnen die große Frage des Abends. Alle drei hatten ihre Vorhaut noch dran.

Das Moritz Weiß Klezmer Trio, live in Stattegg, Foto Gerald Ganglbauer

Ich hatte mich leider vorzeitig vom Eisstockschießen mit userem Bürgermeister und den Gemeinderäten verabschieden müssen, um der Einladung des Stattegger Kulturvereins zur Klezmer Explosion zu folgen, war aber letztlich froh darüber. Muss mich erkundigen, ob meine Gruppe beim Eisstockschießen gewonnen hat. Als ich wegfahren musste, lagen wir in Führung.

Gerald Ganglbauer

Goodbye OPUS

Herwig Rüdisser, Günter Grasmuck, Kurt René Plisnier, Ewald Pfleger und ihre Gäste Johannes Silberschneider, Maria Bill, Steinbäcker, Timischl & Schiffkowitz, Michael Vatter und weitere Freunde, wie immer von Christian Kolonovits sanft umschlungen, feierten in der Grazer Oper einen opulenten Abschied von ihren treuen Fans.

Wie schon in den Jahren davor war auch der allerletzte Opus Gig ein Benefizkonzert zu Gunsten von Schulen in Äthiopien und spielte € 31.000 ein – deutlich weniger als in den Vorjahren, worin ich eine der Nebenwirkungen der Pandemie vermute. Hier einige Beispiele aus der dreistündigen Show.

Eine Besprechung des letzten Albums „Magnum“ ist in Gangway Music Reviews zu lesen.

steirischer herbst ’21

Europaplatz Graz … Ansprachen … Ansprachen … Ansprachen … steirischer herbst ’21

Eröffnungsrede von Ekaterina Degot
Europaplatz, 9.9.21, 17:00

[Sprechchor: The! Way! Out!]

Ich will raus.
Raus aus dem Lockdown.
Raus aus der Pandemie, und raus aus den Maßnahmen gegen sie.
Raus aus der Krankheit, und raus aus der Hygiene.
Raus aus der Gefahr, und raus aus der Sicherheit.
Ich möchte raus aus diesem Zaun hier um uns herum. Und ich muss Ihnen versichern, dass es heute, hier auf diesem Platz, am Ende dieser Eröffnung, die eine umzäunte Eröffnung ist, mehr Ausgänge als Eingänge geben wird. Weil ich weiß, dass auch Sie rauswollen.

Stellen Sie sich vor, dass ich eine Studentin in der Sowjetunion bin, ganz am Ende des Kalten Krieges, von dem ich noch nicht weiß, dass er ganz am Ende ist – Enden und Anfänge sind schwer zu fassen. Was ich weiß, ist, dass es mir nie möglich sein wird, das Land zu verlassen, nicht mal als Touristin, nicht mal für einen kurzen Abstecher. Ich werde das „Draußen“ nur träumen und indirekt erleben – über Bücher und Film vielleicht, obwohl auch sie nicht immer verfügbar sind. Ich bin in einer Kleinheit gefangen, in diesem riesigen Land, das sich winzig anfühlt, weil es keinen Platz für Kafka und auch nicht für Orwell hat. Dies wird für immer meine intellektuelle Klaustrophobie bestimmen.

Stellen Sie sich vor, dass ich eine Schriftstellerin in Graz in den frühen 1950ern bin. Bevor es das Forum Stadtpark und bevor es den steirischen herbst gab. Aber ich weiß noch nicht, dass dies die Zeit „davor“ ist, weil es sich wie eine Ewigkeit anfühlt, die nicht voranschreitet. Schwere und dunkle Zeiten, die stillstehen wie ein Sumpf. „Wir sind wir. Graz ist Graz“, wie es Alfred Kolleritsch mit einem Gefühl der traurigen Resignation ausdrückte, als er seine Jugend nach dem Nationalsozialismus beschrieb. Als diese anonyme Schriftstellerin im Graz der frühen Fünfziger möchte ich nur raus. Und im Gegensatz zu meinem jungen Moskauer Selbst könnte ich als diese anonyme Schriftstellerin das Land verlassen. Aber ich fühle auch, dass diese Energie des Raus-Wollens, diese Energie der Negation einen Nutzen hat und mehr wert ist als die banale Geste, ein Zugticket nach Paris zu kaufen.

Stellen Sie sich vor, dass ich eine afghanische Frau im Jahr 2021 bin. Ich weiß, dass die Amerikaner rauswollen, und es ist ihr Recht, denn es ist nicht ihre Geschichte. Ihr Weg hinaus führt sie nach Hause, ins Bekannte, zu dem, was ihres ist. Aber ich möchte auch hinaus, ins Unbekannte, zu dem, was nicht meines ist. Genau aus dem Grund, dass dies meine Geschichte ist, und ich sie nicht verdiene. Ich hatte das Unglück, am falschen Ort geboren zu werden. Ich habe das Recht, hinauszuwollen. Aber ich werde nicht mal aus dem Haus gelassen – von den Taliban. Und ich werde nicht aus meiner Identität als afghanische Person gelassen – vom Westen. Eine afghanische Person, die ihre eigenen Traditionen und Möglichkeiten haben soll, andere als im Westen, so sieht es zumindest der Westen. Also bin ich gefangen.

Sowohl die Rechte wie auch die Linke haben uns jetzt alle in einem bestimmten Rahmen gefangen.
Es gibt eine rechtsradikale Kleinheit, mit Familie, Patriarchat und Fremdenfeindlichkeit.
Es gibt eine linksradikale Kleinheit, mit unterdrückten Identitäten, Safe Spaces, Flugscham und einem Misstrauen gegenüber großen Narrativen.
Ich möchte raus aus dem Kleinen.
Ich möchte nicht nur hinaus aus Afghanistan, der Sowjetunion oder diesem Graz nach dem Nationalsozialismus. Ich möchte aus Prinzip hinaus aus dem „Hier und Jetzt“, das „Hier und Jetzt und sonst nichts“ bedeutet. Hinaus aus der erstickenden Kleinheit, die jenen Gewalt antut, die nicht dazugehören.
Ich bestehe auf ein Recht, woanders zu sein, jemand anderes zu sein.
Dafür brauche ich Kunst.
Die Kunst ist bei uns, um unsere Wirklichkeit, unsere Orte und unsere Zeiten darzustellen, aber auch, um sie zu negieren, denn nach Magritte wissen wir, dass eine Pfeife keine Pfeife ist, dass es umso weniger eine Pfeife ist, umso mehr es danach ausschaut. Indem sie das Leben auf eine überaus realistische Art und Weise darstellt, sagt die Kunst uns eigentlich, dass es etwas außerhalb davon gibt.

Wenn sie das tut, ist die Kunst gefährlich für totalitäre Regime ebenso wie für noch nicht totalitäre, sondern einfach nur überregulierte, wie das, unter dem wir gerade leben.

In der geängstigten und angstlösenden westlichen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die von Sicherheit auf allen Ebenen besessen ist und allen Uneinigkeiten oder Konflikten mit rechtlichen wie moralischen Mitteln zuvorkommen möchte, ist es nicht mehr die Sphäre des Lebens, sondern die der Kunst, in der alles Unvorhersehbare möglich ist: bedeutsame Begegnungen, totale Zufälle, gewagte Vermutungen sowie tragische und unüberbrückbare Differenzen.
Lassen Sie es uns nicht Freiheit nennen; das Wort ist gleichzeitig ein Zuviel und ein Zuwenig, ehrgeizig und abgedroschen. Lassen Sie es uns, etwas bescheidener, A Way Out, einen Ausweg, nennen. Some kind of way out.Irgendein Ausweg.

„There must be some kind of way out of here,“
Said the joker to the thief.
„There’s too much confusion,
I can’t get no relief.
Businessmen, they drink my wine,
Plowmen dig my earth.
None of them along the line
Know what any of it is worth.“

Diese Zeilen von Bob Dylan aus den späten Sechzigern hatten wir nicht im Kopf, als wir dieser Ausgabe ihren Namen gaben. Aber sie passen, denn der Joker und der Dieb sind unsere Helden, sie sind Künstler, sie sind freie Geister. Sie sind diejenigen, die einen Ausweg finden können.

[Sprechchor: The! Way! Out!]

Vielleicht muss ich ausgehen. Um einige Kleider oder Schuhe auszuführen, die sich seit fast zwei Jahren im Winterschlaf befinden, um ein Glas Wein zu trinken, um mich zu unterhalten.

Nicht jede Kultur kennt übrigens diesen Begriff des „Ausgehens“. Ich würde mir etwa schwer damit tun, ihn ins Russische zu übersetzen. In Russland kann man ins Theater gehen oder jemanden besuchen, aber wenn man „ausgeht“, dann bedeutet das einfach, dass man physisch auf die Straße hinausgeht, um, sagen wir mal, den Mist rauszutragen.

Warum nehmen wir, wenn wir im Deutschen, Englischen oder Französischen von „ausgehen“ sprechen, an, dass es sich um eine Party handelt und nicht um einen Spaziergang mit dem Hund? Wussten wir immer schon, dass es, wie während der Lockdowns, die hinter uns liegen, eines Tages ein seltenes Vergnügen sein wird, sich auf der Straße aufzuhalten? Oder ist es vielleicht so, dass es wirklich ein festlicher Augenblick, eine Feier ist, wenn man sich selbst zurücklässt und andere trifft? Nicht die Feier eines „Wir“-Gefühls, das noch zerbrechlicher ist als unsere Egos. Sondern die Feier dessen, dass man einfach nicht die ganze Zeit in sich selbst ist und rausgeht?

Allerdings, um auszugehen muss man in einer Stadt sein. Auf dem Dorf geht man kaum aus: Da es dort keine anderen, keine Fremden gibt, riskiert man auch nicht, ihnen gegenüberzustehen. Man bleibt sicher bei sich daheim, selbst wenn man auf den Markt geht.

Ist Graz eine „Drinnen-“ oder eine „Draußen-Stadt“?

Es gibt wunderschöne Parks in Graz, in denen sich die Menschen sehr zuhause fühlen, aber sehr wenige Plätze, auf denen sie einer anderen architektonischen Logik untergeordnet wären als in ihrem häuslichen Leben, der sozialen oder politischen Logik einer Agora, eines Forums, einer Arena.

Man kann das auch lieben. Wie der große Grazer Schriftsteller Dževad Karahasan einst bemerkte, war er in Graz „nachhaltig beeindruckt von der Liebe, die man in dieser Stadt dem Stadtpark entgegenbringt“, und irritiert „von der Geringschätzung, die in der Beziehung dieser Stadt zu ihren Plätzen zum Ausdruck kommt“. Er fand Graz sehr machtfeindlich und zwanglos und hatte Freude daran, „daß der Hauptplatz so gar nichts Pathetisches an sich hat, sondern ganz offensichtlich primär für die Menschen da ist und nicht für den Staat“. Es gefiel ihm, dass es „niemanden stört …, daß es richtige Plätze, wie sie einer Stadt würdig sind, im Grunde genommen nicht gibt“.

Uns beim steirischen herbst gefällt das auch, aber gewiss vermissen wir auch Plätze als politische und soziale Foren. Wir vermissen sie auf einer pragmatischen genauso wie auf einer konzeptuellen Ebene, weil wir an diesen Orten immer mit unserer Geschichte des Jahres anfangen wollen. Wir suchen nach Plätzen, die vielleicht auch rund sind und sich nach politischem Forum anfühlen! Und der Europaplatz hat uns dabei nie im Stich gelassen.

Also, Graz: eine „Drinnen-Stadt“? Graz hat eine starke „Drinnen“-Atmosphäre, nicht so stark wie das Moskau meiner Jugend, wo alle wichtigen Gespräche in der Küche stattfanden, aber nah dran – hier finden die Gespräche auf den Markplätzen statt.
Es gibt großartige Märkte in Graz, aber es gibt wenig Kaffeehäuser im wienerischen Sinne, die, wo man Zeitung lesen soll, während man Fremde durch große Fensterscheiben beobachtet, wo man sich eine politische Meinung bilden soll, vermutlich eine kritische, denn zu viel Beobachtung führt zweifellos zu einer überentwickelten Kompetenz auf diesem Gebiet. Diese Cafés sind Orte eines sitzenden politischen Flaneurtums. Es gibt sehr wenige Kaffeehäuser dieser Art in Graz im Vergleich zu Wien oder Paris. Sie sind eher alle ganz im Inneren, warm, dunkel, und wenn es einen Gastgarten gibt, ist er von der Straße nicht einsehbar. Wer sich dort trifft, hat das Gefühl, Teil einer gefährlichen und illegalen Oppositionsgruppe zu sein. Dies ist der mittelalterlichen Struktur der Stadt geschuldet respektive verdankt sich ihr. Elfriede Jelinek trauerte einst um das Café Erzherzog Johann in der Sackstraße, wo sie sich mit anderen Schrifsteller:innen traf, allen voran Fredy Kolleritsch. Jetzt ist es womöglich, schrieb sie, „ein vampirischer Ort, der vielleicht in der Nacht seine Zähne in die Passanten schlägt, die vorübergehen“. Es wird niemanden überraschen, dass Orte, an denen politisch brisante Gespräche geführt werden, ihre gefährliche Störkraft über Jahre beibehalten.

[Sprechchor: The! Way! Out!]

Wie soll man die Mauer dieser unpolitischen Häuslichkeit durchbrechen? Der steirische herbst stellt und beantwortet diese Frage seit Jahrzehnten. Aber heutzutage ist nicht nur der konservative Geist gegen uns – es ist ein konservativer Geist, der durch die Pandemie und die allgemeine Atmosphäre der Angst enorm bekräftigt wurde.

Die Pandemie hat uns alle klein gemacht, beschränkt auf unsere eigenen vier Wände. Sie hat uns auch kleingeistig gemacht. Alles auf planetarischer Ebene Große wird von der Linken wie von der Rechten verdächtigt, und vieles davon zurecht – an Ihnen, zu entscheiden: Marktwirtschaft; Überproduktion; unverantwortliche Reisen; universalistische Ideen, die nur die weiße, männliche Macht widerspiegeln; berufliche Ambitionen; die großen Narrative, die die letzte Säuberung überlebt haben. Die Kunst könnte man leicht auch mit diesem Bad ausschütten. Denn in der Kunst geht es immer darum, mit dem Status quo unzufrieden zu sein. Selbst wenn es ein überaus bescheidenes und biederes Stillleben ist, handelt es immer von etwas anderen, etwas Größerem.

Die Pandemie hat uns auch alle alt gemacht. Wir sollen zufrieden sein mit dem, was wir haben, nicht zu viel wollen, nicht davon träumen, um die Welt zu reisen. Wir müssen akzeptieren, dass viele Dinge außerhalb unserer Reichweite liegen, dass es zu spät ist. Wir sollen zufrieden sein in unserem Daheim, mit selbstgebackenem Brot und Enkeln, die wir irgendwann vielleicht haben werden. Es ist ein Pensionistenleben an einem Ort, der früher als Pensionopolis bekannt war.

Es gibt einen Lifestyle-Trend, der bereits vor der Pandemie eine riesige internationale Karriere hingelegt hat: das dänische Konzept der Hygge. Durch Zeitschriften wissen wir mittlerweile alle, was Hygge ist, und in der deutschsprachigen Welt braucht man dieses Wort nicht einmal, denn wir haben unsere biedermeierliche Gemütlichkeit. Hygge bedeutet, zuhause zu bleiben, besteht aus einfachen Freuden: Wärme, Behaglichkeit, Kaschmirpullover, Familie und Kürbissuppe. Es ist seit Jahrhunderten Teil der dänischen Kultur und jetzt sogar vegan und konsumkritisch, vielleicht sogar ein bisschen antikapitalistisch, und definitiv antimodern. Aber am meisten bedeutet Hygge, sich von den Problemen dieser Welt fernzuhalten, die Tür zur Welt für den inneren Frieden und die innere Stabilität zu schließen. Wir haben die letzten Jahre eine Albtraum-Version von Hygge/Gemütlichkeit gelebt, und sie wurde auch als Weg zu unserer physischen und mentalen Gesundheit beworben. In Graz sehen wir sogar eine sehr erfolgreiche Outdoor-Variante von Hygge – mit Picknicks, Fahrrädern und viel, viel Sport.

Erlauben Sie mir, etwas Skandalöses zu sagen: Österreich könnte das Dänemark Mitteleuropas sein. (Oder ist Dänemark, seit Hamlet, vielleicht die beste Metapher für Allesmögliche?) Das Gefühl der Kleinheit zu hegen, Glück darin zu finden, ist sehr dänisch, aber auch sehr nachkriegsösterreichisch. Das Gleiche gilt, wenn man die Suche nach Glück zum Hauptziel seines Lebens macht. Oder sich auf die sozialistische Vergangenheit beruft, mit ihren Annahmen der Gleichheit. Natürlich basiert diese Gleichheit wie überall auf dem – zumindest geistigen – Ausschluss derjenigen, die nicht gleich oder nicht gleich genug sind, mit ihren unterschiedlichen Pässen und anderen Hautfarben.

In Dänemark haben einige mutige Denker:innen bemerkt, dass eine Hygge-Situation um ein wärmendes Feuer herum weniger hyggelig wird, wenn Nicht-Hygge-Menschen dabei sein, also Ausländer. Ich glaube, das wissen wir auch hier. Bei der Gemütlichkeit geht es um Konformität und Konsens, die von denen zunichtegemacht wird, die sie stören. Diejenigen, die ein Problem benennen, sind selbst ein Problem.

In Dänemark hat man auch bemerkt, dass rechte Politiker:innen permanent Hygge-Ideologie als fremdenfeindliches Argument einsetzen. Als Argument für Sicherheit auf allen Ebenen, wo alles, was diese Sicherheit bedroht, nicht toleriert werden kann.

Aus dem aktuellen, von Hygiene dominierten Blickwinkel ist es übrigens sicherer, draußen auf der Straße als drinnen zu sein. Das ist kontraintuitiv, denn die Straßen sind immer noch voller Hurricanes und Tornados, voller gefährlicher Fremder, mit ihren Autos und blitzschnellen Motorrädern, aber in letzter Zeit war alles ziemlich kontraintuitiv.

Aber aus dem Blickwinkel der Kunst ist es immer noch riskant, auf der Straße zu sein, und es ist genau dieses aufregende ästhetische Risiko, das uns dieses Jahr im Festivalprogramm fasziniert. Es ist riskant, wenn Künstler:innen mit aggressiver Werbung, gesprächiger, überpräsenter Architektur sowie abgelenkten und ablenkenden Massen um die Aufmerksamkeit des Publikums streiten. Die Kunst tritt in einen Wettstreit mit dem Wirklichen, aber das ist der einzige Weg, wirklich zu werden.

Besonders am Anfang dieses steirischen herbst, aber auch über den ganzen Monat, den er heuer dauert, brechen wir aus den White Cubes der Kunsteinrichtungen aus – ohne dabei zu verkündigen, dass wir dahin nie wieder zurückkehren – und zum Teil auch aus der Online-Welt, wo wir letztes Jahr unser großartiges Paranoia TV veranstaltet haben (obwohl wir online auch präsent sein werden, mit einigen interessanten und wilden Überraschungen). Wir wollen sie im echten Leben treffen. Parks werden vielleicht zu den Plätzen, die in Graz fehlen, Straßen – zu den seltenen Kaffeehäusern, die für die Lektüre und die Bildung eines politischen Bewusstseins da sind. Wir zählen darauf, dass Sie da sind, da draußen.

Kunst hat die magische Fähigkeit, uns glücklich zu machen. Sie macht jedenfalls mich sehr häufig glücklich. Aber sie ist nicht dazu da, uns glücklich zu machen. Vielleicht ist sie dazu da, uns unzufrieden zu machen mit den Orten, an denen wir uns befinden, und den Menschen, die wir sind. Diese Unzufriedenheit nennt man Hoffnung, Verlangen, sie heißt Bedeutung.

Das Leben ist der Ausweg für die Kunst, und die Kunst der Ausweg für das Leben – oder, wenn wir vorsichtiger sein wollen: der Ausweg aus dieser merkwürdigen umzäunten Situation, in der wir uns wiedergefunden haben, auf physischer wie metaphorischer Ebene.

Hiermit eröffne ich das heurige Festival, mit großem Dank an alle, die dazu beigetragen haben – Künstler:innen, Denker:innen, Autor:innen, meine Kolleg:innen im Team und Sie, das Publikum, die Sie immer im Bild sein werden.

[Sprechchor: The! Way! Out!]

Graz, 9.9.21, Ekaterina Degot

Der letzte Artikel in print

Ein Hinweis auf die am 15. Jänner 2021 erschienene erste und die zweite, erweiterte Geburtstagsausgabe des GANGWAY Kulturmagazins auf Papier, 100 bzw. 120 Artikel aus den Stattegger Jahren, ist gleichzeitig auch der letzte Beitrag dieses Blogs.

Gangway: Die Stattegger Jahre, erschien an 24. Februar 2021, meinem 63. Geburtstag

Wenn man die ONLINE Ausgaben gelesen hat, gibt es inhaltlich keine Überraschungen auf den 168 bzw. 200 Seiten, aber ich muss zugeben, dass so ein gedrucktes Buch im Großformat beim Durchblättern schon einen mächtigen Eindruck macht, so bunt und dick es ist – und eben aus Papier. Das Layoutieren war ein walk down memory lane, wo die Besuche der einzelnen Veranstaltungen im Kopf wieder lebendig wurden. Gangway ist eine schöne Erinnerung, die man nun mit einer Spende erwerben kann – und zugleich Gutes damit tut.

Editorial der Printausgabe

Als einer der frühen Netz-Pioniere publiziere ich nun schon seit 25 Jahren im “neuen” Medium. Am 3. April 1996 erschien das erste Gangway, zuerst vierteljährlich, dann in loser Folge als Weblog. Ursprünglich Literaturzeitschrift des Gangan Verlags, entstan-den daraus im Lauf der Zeit vier Journale: das Gangway Cult-Mag (seit 2001 als Blog) und das Gangan Lit-Mag (bis 2019 50 Ausgaben), sowie die Gangan Reviews (seit 1999, Bücherliste hrsg. von Petra Ganglbauer) und Gangway Reviews (Rezensionen von Musik Alben, 2013).
Der Verlag (und ich) hatten von 1989 bis 2013 den Hauptsitz in Sydney, daher waren Beiträge zweisprachig. Mein aktueller Standort ist deutschsprachig, daher sind englischsprachige Artikel mit einer Ausnahme hier nicht enthalten.

Die Artikel in dieser Sammlung sind allesamt online publiziert, aber nicht in Print erschienen. Das wird hiermit nachgeholt. Weil ich krankheitsbedingt den Verlag zusperre, werden keine neuen Beiträge folgen.

Kurze Reisen etwa nach Ägypten, Griechenland, Spanien oder Berlin haben mittlerweile die Langstreckenflüge ersetzt. Material war also das steirische Kulturangebot, das im Vergleich mit Metropolen wie Perth und Sydney im Großstädtchen Graz gar nicht so schlecht war.
Mit diesem Band möchte ich auf meine journalistische Arbeit hinweisen, aber auch zeigen, wie langsam aber unaufhaltsam sich die Parkinson Krankheit in mein Leben geschlichen hat und es bestimmt.

Die 200 Seiten sind also einerseits die Dokumentation einer reichlich illustrierten Revue der Kulturlandschaft bis zur Pandemie, andererseits ein Spendenaufruf zu Gunsten der Parkinson-Forschung. Sie zeigen meinen Kampf mit der Krankheit und sind natürlich auch eine schöne Erinnerung.

Bedanken will ich mich noch ganz herzlich bei Ekaterina Deagot, Willi Eisenberger, Fergus Grieve, Otmar Klammer, David Kranzelbinder, Berndt Luef, Nikola Milatovic, Heide Oberegger, Stephanie Obrist, Peter Purgar, Natalie Resch und Werner Schrempf (habe ich jemanden vergessen?) für Beiträge in Wort und Bild.

Gangway gibt es nicht zu kaufen, aber eine großzügige Spende unterstützt die Parkinson Forschung durch Awards und Stipendien.

Gerald Ganglbauer
Stattegg, 14. Februar 2021

Ein Non-Profit Projekt

GANGWAY wird nicht über den Buchhandel vertrieben, sondern ist in limitierter Edition gegen eine Spende von € 20 aufwärts für PARKINSONG.ORG per Bankanweisung oder PayPal Link zu haben. Solange der Vorrat reicht. Erträge fließen in die Parkinson-Forschung, konkret in Travel Grants für YOPd Betroffene und Forscher zur Welt-Parkinson-Konferenz in Barcelona, 2022. Mehr Einblicke gibt es auf PARKINSONG.ORG.

Spendenkonto
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BIC: BKAUATWW

120 Artikel in Print, noch mehr online

Ich hatte Gangway seit 1996 in HTML programmiert, komplexeren Code und Design später mit Macromedia Dreamweaver gestaltet und im Hinblick auf eine leichtere Übergabe der Website 2016 Beitrag für Beitrag erst auf eine von WordPress gehostete Datenbank migriert. Dort waren noch alle Artikel vollständig, auch die Englischen, wie zum Beispiel über die Sydney Opera oder die Access Gallery in der Dank Street, habe dann zwar auf gleich 10 selbst gehostete Datenbanken aufgerüstet, aber mit neuem Standort Stattegg nur mehr die deutschsprachigen Beiträge migriert.

Im Sampler habe ich alle Stattegger Beiträge ab 2014 vollständig abgedruckt und mit einigen früheren auf genau 100 Artikel ergänzt. Online finden sich auch noch extra Bilder und Videos, die ich zum Teil mit QR Code zu meinem YouTube Kanal verlinkt habe, sowie deutschsprachige Beiträge vor 2014, wie zum Beispiel über Opus, das Klanghaus Untergreith oder Konzerte auf der Rannach und in der Auster. Print und Online Ausgaben ergänzen einander nun perfekt.

Gerald Ganglbauer
Herausgeber

Die Kultur in den Zeiten von COVID-19

Alles absagen, verschieben? Nein. Lassen wir uns von Gabriel Garcia Marquez inspirieren. Die Liebe in den Zeiten der Cholera war größer als die Krankheit. Auch das verrückte Jahr 2020 konnte die Kreativität der Künstler Community mit einer Pandemie nicht brechen.

Max Höfler präsentiert das GANGAN Lit-Mag im Livestream

Am 25. März 2020 war im Forum Stadtpark Graz die lange vorausgeplante GANGAN Lit-Mag Präsentation im Kalender eingetragen, für den 8. Oktober 2020 war ein Parkinson Benefizkonzert im Lässerhof plakatiert. Beides durfte nicht über die Bühne gehen, die Schachteln voller Literaturmagazine lagern noch im Keller und auf ein virenfreies Konzert hätten wir bis Ende Februar 2021 (oder noch länger) warten müssen.

Die Spatzen (und Babyelefanten) pfeifen es von allen Dächern, was auch im Eventprogramm des Wiener Falter zu lesen ist: „Wegen der aktuellen COVID-19-Verordnung der Regierung sind alle Veranstaltungen bis auf weiteres abgesagt!“ Das können wir doch nicht so unwidersprochen akzeptieren. Tun wir auch nicht.

Das Benefizkonzert wurde von 8.10.20 auf 27.2.21 verschoben

Am Abend der verbotenen Veranstaltung präsentierte Gastherausgeber Max Höfler spontan das neue Heft in einem Facebook-Stream aus seinem Wohnzimmer und erreichte hunderte interaktive Zuseher. Tags darauf haben die Zeitungen Livestreams adaptiert. Das Benefizkonzert schenke ich mir zu meinem Geburtstag mit einem professionell gefilmten Livestream für alle Welt von Peter Droneberger mit GRAZCONNECTED am Samstag, 27.2.21 19:00 UTC+01, wenn STATTEGG ROCKT.

So entsteht aus einer ursprünglichen Einschränkung durch den Corona Lockdown etwas sogar noch Größeres. Kultur ist Leben.

Gerald Ganglbauer
Executive Producer
PARKINSONG.ORG

Ingomar – Versuch eines Nachrufs

Foto: KK

Ungleiches gesellt sich

Nova-Spa Stammgäste kannten Ingomar und schätzten seine Gesellschaft seit Jahren. Er war ein Mensch, der auf alle offen zuging und man merkte sich seinen ungewöhnlichen Namen. Den Damen wird er wegen seiner unprätentiös versprühten, charmanten Komplimente in Erinnerung bleiben, den Männern durch anspruchsvolle Gespräche über Gott und die Welt. Obwohl er und ich in Religionsfragen diametral auseinander liegende Positionen vertraten, wuchs aus Ungleichem gegenseitige Wertschätzung und Freundschaft. Die Welt interessierte uns beide. Ingomar hat wahrscheinlich als einziger Saunagast jedes meiner Bücher gelesen. Ich hatte ihm, der sich aus Facebook und Co. nichts machte, vor Jahren einen kleinen Webauftritt für seine KMB-Reisen bei Gruber gebaut, denn für ihn stand „KMB“ für „Kultur mit Begegnung“.

Tief betroffen hat die KMB-Steiermark die Nachricht aufgenommen, dass ihr langjähriger Vorsitzender, Prof. Ingomar Tratz, verstorben ist.

Katholische Männerbewegung

Bildung war ihm ein wichtiges Anliegen, dem pensionierten Religionslehrer des BG/BRG Carneri, KMB Bildungsreiseleiter und Ost-Mitteleuropa Kenner. Auf der URANIA Website liest man lapidar zu Prof. Ingomar Tratz: „Zur Zeit keine Kurse vorhanden“. Den Dozent wird man ersetzen, den Mensch in Erinnerung behalten. Ruhe in Frieden, mein Freund.

Gerald Ganglbauer

Austrian Film Festival

Das Wiener Indie Festival vergab in diesem Jahr 28 Preise. Bester österreichischer Online-Film ging an den Grazer Otmar Brosch für das Music Video „Simoom“. Wir gratulieren!

The Base – Simoom (2019)

Stattegg rockt verschoben

Das für 8. Oktober 2020 geplante Benefizkonzert für Parkinson im Lässerhof musste wegen neuerlichen Anstiegs der Corona-Angst auf 27. Februar 2021 verschoben werden.

Eintrittskarten bitte am besten gleich oder so früh wie möglich kaufen. Erhältlich exklusiv in unserem Web Shop und allen OETICKET Kartenbüros. Viele Ermäßigungen!