Happy Birthday, Harri

60 Jahre Harri Stojka

Seine Finger greifen auch mit 60 noch unfassbar schnell die Saiten am Hals seiner Gitarre, die der Virtuose aus Wien, Floridsdorf, Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich, im Lauf seines Lebens in einem sehr breiten musikalischen Spektrum eingesetzt hat, etwa in der eigenen Band, dem Harri Stojka Express, an den ich mich noch gut erinnere, da wir etwa im gleichen Alter sind (OT: Wie es mir mit 60 geht? Früher freute ich mich aufs Fortgehen, jetzt ist es aufs Heimkommen.) aber auch mit Gipsy-Weltmusik und Rockstars wie Peter Wolf und Frank Zappa bis hin zu Musikern aus dem indischen Rahjastan, wo er auf der Suche nach seinen Wurzeln war.

Harri Stojka (* 22. Juli 1957 in Wien) ist ein österreichischer Gitarrist, Komponist, Arrangeur, Bandleader und Sänger, der als einer der bedeutendsten österreichischen Jazz-Musiker der Gegenwart gilt. „Harri“ entstammt der Lovara-Roma-Dynastie vom Stamm der Bagareschtschi und zählt zu den bekanntesten Roma Österreichs. Sein weltmusikalisch geprägter Musikstil wird auch „Gipsysoul“ genannt. Daneben spielt er mit Erfolg auch swingorientierte Musik, weiß das Lexikon.

 

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Auf seiner Birthday Concert Tour lässt er sich in der Generalmusikdirektion Graz, dann dem Kulturzentrum Kremsmünster, dem Treibhaus in Innsbruck und schließlich im Wiener Konzerthaus mit guten Freunden aus vielen Jahren feiern. Other Doors nennt sich seine jüngste Formation mit Claudius Jelinek, Gitarre, Alex Deutsch, Schlagzeug und Peter Strutzenberger, Bass. Im Roma Musik Enseble erweitert sich die Besetzung um Geri Schuller, Keyboard, Saška Janković, Gesang, Andi Steirer, Percussion, und Herbert Berger, Klarinette, und jm India Express mit Kutle Khan, Gafur Khan und Aditya Bhasin, Maultrommel, Tarang, Tabla, Gesang.

Das Publikum in Graz, großteils ebenso 60 oder darüber, war hellauf begeistert, lauschte, klatschte, sang „Happy Birthday, dear Harri“ und tanzte zur zweiten Draufgabe, einem zwar betagten aber immer noch swingenden Tune aus seinem neuesten Projekt, Harri Stojka goes Beatles.

Seine offizielle Website: www.harristojka.at

The Morgenstern & Boyd Trilogy

Private Screening

Rudi Lackner lud zu einer intimen Preview des neuen Films des Gleisdorfer Regisseurs Fritz Aigner in sein Grand Café Kaiserfeld. Unter den Gästen die Darsteller Susanna Arlt, mit der ich die Ehre hatte am Tisch zu sitzen, Daniel Doujenis, Marino Acapulco und Jacques Bush, die ich als Musiker von Spring and the Land kenne, sowie Filmkritiker und „the usual suspects“ aus dem Grazer Kulturbetrieb.

Der Film

Der bislang erfolglose Filmregisseur Fritz Aigner sorgt bei den Filmfestspielen von Venedig mit seinem Film „The Meadow“ unerwartet für Aufsehen. Ein namhafter Produzent beauftragt ihn daraufhin, eine Fortsetzung zu drehen. Die Dreharbeiten geraten zu einem Fiasko. Als die gesamte Filmcrew gegen den zunehmenden Größenwahn ihres Regisseurs rebelliert, sieht dieser sich mit den Antagonisten seiner eigenen Fiktion konfrontiert: Morgenstern und Boyd. Sie ziehen ihn in eine Spirale aus sexuellen Obsessionen und Allmachtsfantasien, an deren Ende nur das Scheitern des Films oder gar der Tod selbst stehen kann.

Soweit die Beschreibung vom Verleih und ich bin froh, dass es die gibt, denn obwohl ich zwei Stunden und 40 Minuten lang im Grand Café Kaiserfeld jede Sekunde des Films gesehen habe, ist mir nichts von dem klar geworden. Marino Acapulco tröstete mich beim Abschied, er habe den Film 70 mal gesehen und immer noch nicht verstanden. Vielleicht hätte ich nach dem Screening Antworten erhalten, aber da ich die letzte Strassenbahn erreichen wollte, musste ich leider rasch aufbrechen.

Soviel kann ich sagen, Morgenstern und Boyd ist sehenswert, verrückt und schön. In der Unverständlichkeit liegt gewissermassen auch die Stärke des Films, der mit seinen psychedelischen Bildern den Betrachter fesselt und  ihn in die irre Fantasiewelt Fritz Aigners ungebremst hineinzieht. Diese Welt wirft philosophische Fragen über Leben und Tod auf, wie auch erotische Fantasien, die von der wunderbaren Susanna Arlt stimuliert werden und im Soundtrack mit Anlehnungen an Carmina Burana und The Meadow zu einem Gesamtkunstwerk zusammenfinden.

Kino Premiere

The Morgenstern & Boyd Trilogy (offizielle Website) morgensternboyd.com

 

Stockwerk Jazz

Liebe Damen und Herren,

was sollen wir sagen? Österreich hat gewählt.
Ohrenmäßig könnte das Ergebnis für ein Musikland wie Österreich ja Symbolcharakter haben. Dreimal größere Ohren als der vermeintlich neue Bundeskanzler haben jedoch die Herren Ray Anderson, Mark Helias und Gerry Hemingway (jeder für sich, nicht zusammen!). Zwar hören die drei prominenten Jazzmusiker damit nicht das Gras wachsen, sondern jene charismatischen Töne, die ihre Kollegen auch zwischen den Noten spielen.
Ähnliches gilt für die Worte des japanischen Haiku-Meisters Kobayashi Issa, magische Worte, denen sich das Duo Gasser/Masaria in unserem zweiten Konzert in dieser Woche widmet.

Mit Dank und lieben Grüßen,
Ihr Stockwerk-Wort zum Wahlsonntag
Otmar Klammer

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Stockwerk, Jakominiplatz 18, A – 8010 Graz, phone: +43 (0) 676 31 59 551, www.stockwerkjazz.mur.at

Do., 19. Oktober 2017, 20:00 Uhr

BASSDRUMBONE (US)

Ray Anderson – trombone
Mark Helios – bass
Gerry Hemingway – drums

BassDrumBone ist nicht allein eine Institution in der jüngeren Jazzgeschichte, sondern geradewegs ein Indikator. In rund vierzig Jahren gelang es dem Trio stets, formale Schärfe, thematische Wendigkeit und organischen Flow auf einer bezwingenden Spur des kreativen zeitgenössischen Jazz zu halten.
BassDrumBone ist ein Trio, das die Ungleichheit seiner Instrumentierung der einzigartigen Persönlichkeit seiner drei Mitglieder angetraut hat. Im Trio wachsen die drei US-Haudegen weit über die herkömmliche Praxis des Improvisierens hinaus. Ein wahres Kollektiv, dessen Musik drei verschiedene kompositorische und improvisatorische Ansätze zu einem außergewöhnlichen musikalischen Rapport vereint.
Im Herbst 1977 begannen Mark Helias, Gerry Hemingway und Ray Anderson als Trio zu spielen. Ihre erste Platte „Oahspe“ wurde 1979 auf Auricle Records veröffentlicht, jenem Plattenlabel, auf dem sich BassDrumBone nun mit dem großartigen Doppelalbum The Long Road in der internationalen Szene zurückgemeldet hat (inklusive den Gästen Jason Moran und Joe Lovano). Furchtlos schön.

Fr., 20. Oktober 2017, 20:00 Uhr

CLEMENTINE GASSER & ANDREA MASSARIA (CH / I)

Haiku Music
CD-Präsentation

Clementine Gasser – 5-string cello
Andrea Massaria – guitar

So soll es sein. Von Noten, Punkt und Beistrich genug, konvertierte Andrea Massaria, der sich als klassischer Gitarrist auf Villa Lobos und Bach spezialisiert hat, einst nach einem Konzert von Barney Kessel zum Jazz. Eine Entscheidung, der wir unter anderem die CD Corindilindoli mit dem Posaunisten Giancarlo Schiaffini zu verdanken haben.
Der Triestiner und die in Luzern geborene Cellistin Clementine Gasser, deren internationale Konzerttätigkeit im Bereich zeitgenössischer improvisierter Musik sie auch schon mehrfach ins Stockwerk führte (u.a. mit dem Saxophonisten Mikołaj Trzaska), haben nun jeweils sechs Haikus des japanischen Haiku-Meisters Kobayashi Issa (1763 – 1828) ausgewählt und anhand grafischer Partituren aufbereitet.
Wenn man weiß, dass Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart unverzichtbarer Bestandteil eines Haiku sind, kann das ja nur spannend werden. Die CD The Spring of My Life (Amirani Records) ist vorsichtshalber schon einmal nach Issas Hauptwerk benannt.

Foto: BassDrumBone (vl.: Mark Helias, Gerry Hemingway, Ray Anderson)

steirischer herbst ’17

Updates >> 24. September >> 11. Oktober >> 14. Oktober

Die letzte Eröffnung

Where are we now? Die scheidende Intendantin Veronica Kaup-Hasler erinnerte in ihrer emotionalen Rede, dass der steirische herbst das älteste multidisziplinäre Festival für zeitgenössische Kunst in Europa sei und sich immer wieder neu erfinden müsse. Mit fünfzig Jahren am Buckel und dem 88-jährigen früheren Präsidenten Kurt Jungwirth anwesend kam ich mir auch schon sehr alt vor. Immerhin hat der steirische herbst seit dem Jahr 1977 mein Leben begleitet und damit sicher auch meine Offenheit für Neues und meine Liebe zur Avantgarde durch ein erweitertes Kulturverständnis mitgeformt. Obwohl es heute noch Menschen gibt, die unter dem steirischen herbst einfach den Herbst in der Steiermark verstehen, bin ich überzeugt, dass durch die unermüdliche Aufklärung des Festivals das seinerzeit kleinstädtische Bewußtsein der Einheimischen im Lauf der Jahre weltoffener geworden ist. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Die nackte Performance

Die dänische Choreografin Mette Ingvartsen kannte ich bereits von 7 Pleasures, die ich vor zwei Jahren das Vergnügen hatte im Dom im Berg zu sehen. Mit to come (extended) landete sie eine gelungene Urauführung, einen vielstimmigen Orgasmus vor weitaus größerem Publikum. Die Anwesenden waren von der erotischen Körpersprache sichtlich begeistert, wenn auch ohne spontane Entkleidungen und Beteiligung am Tanz, die wohl so manchem in den Sinn gekommen war. Schade, dass man während der zweiteiligen blau/nackten Vorstellung nicht fotografieren durfte, Wer nicht dabei war und die Produktion dennoch unbedingt sehen will, muss eben nach Paris fliegen.

Das große Buffet

Als nach dem lange anhaltenden Applaus für die Tänzer ein schier endlos scheinendes Buffet langsam auf die Bühne gerollt wurde, war die Reaktion etwas zögerlich, doch dann ging es schnell, La Grande Bouffe war in der Tat ein opulent-sinnliches Angebot für den Gaumen, dem niemand widerstehen konnte. Beim darauf folgenden Abtanzen konnte man die Kalorien ohnedies wieder abbauen, sich mit den numehr bekleideten Tänzern aus aller Herren Länder unterhalten und nach Mitternacht guter Dinge nachhause fahren.

Stattegg, am 23. September 2017

Die nackte Performance II

Am nächsten Tag setzt sich das Nacktsein auf der Bühne fort. Ich frage mich, ob es in einer Zeit, in der die in den 60ern erkämpfte Freiheit von einem neuen Konservatismus langsam wieder überdeckt wird, der Kunst bedarf, an sexual liberation zu erinnern.

Simon Mayer – Oh Magic

In der Abgeschiedenheit des Dom im Berg ist diese Erinnerung großartig gelungen. Der Oberösterreicher Simon Mayer hat es im besten Sinn mit seinem choreografierten Konzert Oh Magic mit Clara Frühstück, Tobias Leibetseder und Patric Redl, sowie den von Manuel Wagner ferngesteuerten Robotern bewiesen. Die Premiere bot 70 Minuten lang Überraschungen, anfangs im verdunkelten Raum den zaghaft suchenden Scheinwerfer eines R2-D2 artigen Lichtroboters, die ruhige Melodie eines selbstspielenden Klaviers, einer Triangel, Rückkopplungen eines Mikrofonroboters im Zusammenspiel mit dem Erscheinen des Menschen mit Stimme, Atmung und rockigem Sound Design, bis hin zur schrittweisen Entkleidung, ekstatischer Besessenheit mit dem nackten Körper und an Wahnsinn grenzende Trommelrituale. Ich gebe zu, dass diese Subsummierung in einem Satz der erlebten Show in keiner Weise gerecht wird, aber vielleicht verirrt sich der eine oder andere Leser noch zum Talk nach der zweiten und letzten Aufführung am Sonntag.

Stattegg, am 24. September 2017

Die zwei Alten

Einmal gänzlich ohne nackte Haut kommt die berührende Dokumentation der belgischen Künstlergruppe Berlin vom (Über-)Leben von Nadia und Pétro Opanassovitch Lubenoc aus. Zwei 80-jährige, die sich weigerten, nach dem nuklearen Meltdown im 25 Km entfernten Tschernobyl das ukrainischen Dorf Zvizdal (so auch der Titel des Stücks) zu evakuieren, werden einfühlsam porträtiert.

Massstabgetreues Modell aus Zvizdal

Über einige Jahre hinweg wurden die beiden eigensinnigen Verweigerer jeglicher Vernunft besucht und gefilmt, wie sie ihren kontaminierten Heimatboden bestellen und abgeschnitten von der Welt ohne Strom und fließendes Wasser der Natur und den unsichtbaren Strahlen trotzen. Auch die Liebe zwischen den beiden früheren Nachbarn wuchs im Sperrgebiet. Das umfangreiche Filmmaterial bis zum Tod Pétros wurde in eine multimediale Aufführung eingebettet, die mich nachdenklich hinterließ, was im darauffolgenden Talk auch das Publikum zum Ausdruck gebracht hat.

Auf dem Heimweg sind mir Parallelen zu Marlen Haushofers Die Wand in den Sinn gekommen.

Nadja lebt im Internet weiter: berlinberlin.be/chernobyl code: leavingzvizdal

Stattegg, am 11. Oktober 2017


Die nackte Performance III

Auch Apollon Musagète, die „Freakshow“ von Florentina Holzinger, wollte ich mir anschauen, aber leider war das wegen einer Terminkollision mit dem Jazz Festival Leibnitz nicht möglich gewesen. War sehr gut, wie man mir berichtet hat.

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Apollon Musagète | Foto ©2017 Radovan Dranga

Eine Gelegenheit, wieder einmal meinem Bedauern Ausdruck zu verleihen, dass ein Großteil der Produktionen viel zu kurz, nämlich meist nur zweimal, auf die Bühne kommt. Einem Besucher mit durchschnittlicher Freizeit ist es dadurch kaum möglich, sich alles anzusehen. Die herbst-Statistik gefällig? An 24 Festivaltagen gab es 137 Projekte und 451 Einzelveranstaltungen, das ist genauso wenig machbar, wie alle Bücherneuerscheinungen des Herbstes zu lesen.

Where Are We Now?

In der „Philosophierkantine“ des steirischen herbst werden bei einem Glas Wein und Speisen aus der Bar Gedanken weitergesponnen. Aber erst einmal wurde in eigener Sache das herbst-Buch vorgestellt.

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Buchpräsentation: 50 Antworten auf die Frage „Where Are We Now?“

Vorträge wurden als Diskussionsgrundlage serviert: Mangelnder Zugang zum Weltkulturerbe wurde von einer Kuratorin bedauert, Weltreligionen in einem Filmbeitrag angesprochen und heftig diskutiert, danach kam eines meiner Lieblingsthemen und ein süßes Dessert auf den Tisch: „Poly“ (Polyamory), ein Thema, das an unserem Tisch für angeregte Gespräche sorgte. Um Trading in einem Eisbrecher ging es im letzten Vortrag des Abends, aber da sich die Uhrzeiger gegen Mitternacht bewegten, hatten sich die Tische schon weitgehend gelichtet. Gute Nacht.

Pursuit of Happiness

Mit meinem letzten Gig im 50. steirischen herbst schließt sich der Kreis. Nature Theater of Oklahoma und die slowenische EnKnapGroup inszenieren in der Grazer Helmut List Halle ihre Suche nach dem Glück: „Pursuit of Happiness“. Das zweiteilige Stück trug ganz eindeutig die Handschrift der New Yorker. Im ersten Teil die Saloon-Szenen, Whiskey an der Bar, Finger am Abzug der Colts, Raufereien und ausgeschlagene Zähne, danach der überlange Monolog des Künstlers. Ich erinnerte mich an Life and Times – Episode VI, auch hier wieder die betont künstlichen Bewegungen, die extrem artikulierte Sprache, den persiflierten Akzent der Südstaaten und die großartige Darstellung der Tanzgruppe, für die der hohe Textanteil auch etwas Neues war, wie wir im anschließenden Talk erfuhren. Bleibt zu hoffen, dass die acht Slowenen (zwei Mitglieder der Gruppe waren nicht in dieser Produktion) auch mit eigenen Shows nach Graz kommen.

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Abschied von Pavel und Kelly, die in Neuberg an der Mürz noch den Dreh von Die Kinder der Toten fertigstellen, und von Veronica, deren Nachfolge  Ekaterina Degot antreten wird. Ich bin schon gespannt auf den 51. steirischen herbst (und den Ausgang der morgigen Nationalratswahl).

Stattegg, am 14. Oktober 2017