Boris Bukowski/69 im Rathauskeller

Im Rathauskeller Wies geht das Licht aus und von der karg beleuchteten Bühne singt eine vertraute Stimme hinter bedecktem Gesicht die Worte, die Fans seit 30 Jahren so genau kennen, dass sogar geringfügigste Textänderungen bemerkt werden: “Ich bin hier, ich bin hier und ich steh‘ auf einem Bein, und sie klopfen an die Tür, doch sie können hier nicht rein …”. Der Fritze mit der Spritze war immer noch Boris Bukowskis signature song bei Gags & Stories + Songs von Boris, einer Veranstaltung der Kulturinitiative Kürbis Wies.

Im vorigen Jahrtausend war er bei “Magic/69”, nun ist der Ex-Drummer und Sänger 69

Wir waren zu früh in Wies. Die geplante Cruise im offenen Cabriolet durch die schöne Südsteiermark wurde durch einen Regenguss verkürzt, das Dach musste geschlossen werden und statt Fahrtwind in den Haaren reservierten wir eine Stunde auf einer Kegelbahn. Bis dahin setzten wir uns ins Gasthaus in den Nichtraucherbereich auf ein alkoholfreies Getränk und ein Eis. Wir hatten viel Zeit bis zu einer Vernissage dreier Künstler der Kulturinitiative Kürbis vor dem Konzert, zu dem mich Wolfgang Pollanz eingeladen hatte. Bis auf uns war der Gastraum leer, als Boris Bukowski mit seinem Gitarristen zufällig ins selbe Lokal kam, ebenso in den Nichtraucherbereich und – nachdem er uns begrüßt hatte – ebenso Alkoholfreies bestellte. Daran erkennst du, sage ich ihm augenzwinkernd als wir kegeln gehen, dass wir älter geworden sind. Vor dreißig Jahren wären schon einige Biere hier gestanden und wir hätten eine Zigarette nach der anderen geraucht. So ändern sich die Zeiten. Ich kannte Boris seit 1985, als Mike Markart einen Beitrag im ganganbuch 2 über das Magic Sound Studio machte, das er mit dem Magic/69 Keyboarder Andi Beit nach dem Ende der Band bis 1991 betrieben hatte.

Drei erkegelte Sauen stolz in der Tasche, wurde es Zeit, ins Rathaus zu schlendern. Es war kalt geworden und es regnete nach wie vor und ich war froh, unterwegs lange Hosen gekauft zu haben. Mir gingen diverse Fetzen der Lyrics und Melodien seiner Lieder durch den Kopf und ich summte schließlich “Ich bin müde” vor mich hin, rief mir alle Strophen ins Gedächtnis, war mir gar nicht bewusst, dass ich soviel seiner Musik kannte. Im Programm waren diese Tunes natürlich auch. Mit seiner älteren, leicht brüchigen Stimme gesungen, war es ein schönes Erlebnis, die Memory Lane gemeinsam mit einem “Urgestein der steirischen Rockszene” entlang zu gehen. Apropos Rockgeschichte: David Reumüller hat in der Edition Kürbis als Herausgeber im Rockarchiv Steiermark die Bandgeschichte von Magic/69 mit vielen Bilddokumenten und einer Vinylsingle veröffentlicht.

Boris Bukowski – Live im Rathauskeller Wies |Video © Gerald Ganglbauer 2015

Der 1946 in Gleisdorf geborene 1974 promovierte Jurist Boris Bukowski war zuerst Drummer und später Leadsinger von Magic/69, produzierte nach dem Bandende 1980 in seinem Tonstudio u.a. das erste EAV Album sowie Peter Weibels schräges Hotel Morphila Orchester. Seine Solo-Karriere startete er 1985, u.a. mit Der Fritze mit der Spritze, dem wahrscheinlich bekanntesten Song über Psychiatrie und Kokain (1987 auf Intensiv) und endete sie wieder um fast ein Jahrzehnt, in dem er nicht mehr auf der Bühne stand. Seit 2001 gibt es ihn wieder live und seit dem Vorjahr und dem Erscheinen seiner locker vom Hocker geschriebenen Autobiografie Unter bunten Hunden wieder auf Konzertournee mit dem jungen Gitarristen Markus Kissinger.

Die alten Hadern waren nicht nur mir, sondern dem Publikum im entsprechenden Alter 50+ ebenso geläufig. Man hörte es beim Mitsummen. Bloss die neuen (in diesem Jahrtausend geschriebenen) Lyrics schienen ein wenig zu sperrig und schwer bekömmlich zu sein. Politische Botschaften, Soziale Ungerechtigkeiten, Umweltzerstörung und dergleichen passten irgendwie nicht zu dem Mann auf der Bühne, von dem man Texte über Liebe und Liebeskummer erwartete, einer Ikone des Austropop, der gar nicht wie 69 wirkte.

Ein Extra-Bonus des Abends war die Entdeckung von Matthias Forenbacher, dessen noch unveröffentlichtes neues Album im Keller vor und nach dem Gig im Hintergrund gespielt wurde und mir sofort sehr positiv auffiel. Sein Album “Life Vest” war 2009 bei Pumpkin Records (Kürbis) erschienen. Die CD wollten wir bei der Heimfahrt im Auto spielen. Auch um Mitternacht musste für die einstündige Fahrt zurück nach Ursprung das Dach leider geschlossen bleiben. Dennoch – trotz des Sauwetters – ein lohnender Landausflug.

Infos: www.kuerbis.at und www.bukowski.at

Ursprung, 20. April 2015

pangea … musik lebt

pangea (von altgriechisch πᾶν pān “ganz” und γαῖα gaia “Erde”, “Land”, wörtlich also „Ganze Erde”), war der letzte globale Superkontinent der Erdgeschichte. In Graz steht Pangea für: “Musik lebt.” Eine monatliche Weltmusik-Konzertreihe live in der Postgarage. Konzeption und Koordination: Stefan Bauer, Günter Brodtrager, Vesna Petković, Anita Brodtrager. Im April gab es feinste Töne vom Tori Trio und Das Großmütterchen Hatz Salon Orkestar.

Postgarage, 2nd floor
(Eingang über Rösselmühlpark)
Dreihackengasse 42
8020 Graz
pangea@postgarage.at

Die Verneigung gilt den Veranstaltern, denn pangea beweist, dass Musik lebt

Das Salon Orkestar nach dem zweiten Encore | © Gerald Ganglbauer 2015

Einmal hatte ich schon das große Vergnügen, einen pangea Abend in der Grazer postgarage mit lebendiger Musik zu verbringen. Rauchfrei auf gemütlichen Sofas vor der einzigartigen Kulisse, die Günter Brodtrager aus von hinten mittels Lichtbändern beleuchteten ausrangierten Leiterplatten geschaffen hat. Nachhaltigkeit war seinen Greenbrains Ideen immer schon wichtig.

Der geeignete Venue war somit vorhanden, und seine junge Frau Anita Brodtrager tat sich mit Vesna Petković (Sosamma) zusammen, um “eine Reaktion zwischen Tradition und Moderne, eine Plattform für LiebhaberInnen feiner Töne und schöner Stimmen” zu schaffen. Jeden Monat steht ein Konzert zweier Bands am Programm, welches irgendwo zwischen Volksmusik und Jazz einzureihen wäre. Vor einigen Monaten hatte ich die Grazerin Marina Zettl dort gehört (und in den Music Reviews besprochen), gestern waren es das Tori Trio und Das Großmütterchen Hatz Salon Orkestar, ein unüblich instrumentiertes Quartett, das an jenem Abend seinen fünften “Geburtstag” feierte. Aber vorerst zum Tori Trio, was übrigens ein Anagramm ist, aber das werden unsere smarten Leserinnen und Leser selbst sofort gesehen haben.

Das Akkordeon, beiden Acts dieses Abends gemeinsam, wird üblicherweise assoziiert mit Tango (Nuevo) oder Zigeuner- und Volksmusik, auf Neusprech heißt das heutzutage Ethno oder Worldmusic. Was auch immer die Schublade, das Publikum, etwas älter als der Durchschnitt in der Postgarage, honorierte die Darbietungen mit stillem Zuhören und tosendem Applaus, was sehr angenehm auffiel, da bei Pop/Rock-Konzerten oftmals die Geräuschkulisse des Publikums in den hinteren Reihen lauter ist als ruhigere Passagen der Musik.

Tori Trio – Live in der Postgarage Graz | © Gerald Ganglbauer 2015

Der Slowene Jure Tori liebt sein Akkordeon und entlockt ihm ein breites Spektrum an Klängen, die sich dem Jazz wie dem Balkan einfügen und spiegelt intensiv erlebte Gefühle beim Spiel auch in seinem Gesichtsausdruck. Was auch der Grazer Jazzfreunden gut bekannte Ewald Oberleitner am Bass tut, wenn seine flinken Finger in die Seiten des sichtlich vielgereisten Instrumentes greifen. Cool bleibt nur Ariel Cubría, der Mann aus Havanna an der Gitarre.

Das Großmütterchen Hatz Salon Orkestar – hier mit Gast-Perkussionist Ernst Grieshofer | © Gerald Ganglbauer 2015

Franziska Hatz, das Großmütterchen, ist in einer Klasse für sich, wenn die zarte Frau mitunter einbeinig wie Ian Anderson das schwere Tasteninstrument spielt. Sie ist ein Energiebündel in Bewegung wenn sie mit den großartigen Kollegen Julian Pieber am Schlagzeug, Richie Winkler an den Blasinstrumenten und Simon Schellnegger am Saiteninstrument einen komplexen Klangteppich aus Akkordeon, Klarinette/Saxofon, Bratsche, Schlagzeug und Perkussion und subtilen Loops webt. Seit fünf Jahren tut die Musikerin aus der Südsteiermark das in dieser Besetzung und “Terry Goes Around”, ihr letztes Album, werde ich wohl noch ausführlicher in Gangway Music Reviews besprechen.

Die nächsten Termine:

So., 10. Mai 2015, 20 Uhr: Barrio Mixto (Latin Jazz) & Brazuca (Brasilianische Popmusik)
So., 7. Juni 2015, 20 Uhr: Alma (Zeitgenössische Volksmusik) & Holler my Dear (Pop/Swing/Funk/Folk)
Info: pangea.postgarage.at

Ursprung, am 16. April 2015