Endless Wellness & Buntspecht live

Das Orpheum Graz diente wieder einmal als Location für den Start einer Österreich-Tour von Buntspecht, die schon das siebte Album in ihrer Diskografie haben, und damit eine album release show spielen, mit der Support Band Endless Wellness, deren Debüt Single “Hand im Gesicht” FM4 Hörern als #nackabazi bekannt ist.

Buntspecht ist eine sechsköpfige österreichische Indie-Pop-Band aus Wien und in Graz kein unbeschriebenes Blatt. Im ausverkauften Haus sang das Publikum die Lyrics mit Florentin Scheicher und Lukas Klein und applaudierte begeistert.

Ihre neue Platte trägt den Titel „An das Gestern, das nie Morgen wurden darfte. Ich warte“ und ist auf Vinyl und CD erschienen, aber ich kann dazu nichts berichten, da der Manager mir ein Muster verweigerte („Gangway kenne ich nicht“) und ihm € 15 in der Kasse lieber waren, als eine Besprechung. Schrulliger Typ.

Vor dem Konzert plauderte ich mit Jakob Lang, einem Urvogel der Buntspechte, dem ich zufälllig über den Weg lief. Er spielt E-Bass und Kontrabass, was man am kräftigen Händedruck bemerkt, wie ich mir einbilde. Bei unserer Unterhaltung musste ich zugeben, kaum etwas über die Band zu wissen. Ich hatte sie ein paar Mal im Radio gehört und da waren sie mir aufgefallen und ich wollte sie einmal live sehen.

Orpheum Graz

Und die Show war die extra Anstrengung wert. Allein Florentin Scheicher zuzusehen, wie er einem tanzenden Derwisch gleich über die Bühne fegt, als ob seine Knochen biegsam wären. Gemeinsam mit Gitarrist Lukas Klein textet und slngt er in der Gruppe. Spass haben sie jedenfalls alle mit ihrer Musik, was sich schnell auf junge wie alte Hörer überträgt.

Freitag, 10. November 2023

An manchen Tagen müsste man sich clonen können. Der kommende Freitag ist ein solcher. Da müsste man zur Buchpräsentation von Tinted Trails

zur Lesung von Walter Hölbling ins Literaturhaus …

und zugleich ins Stockwerk zum Konzert vom Max Johnson Trio feat. Anna Webber.

Und wie löst man solch eine Terminkollision? Man bleibt zuhause.

Humans and Demons

In diesem Herbst hatte ich keine Zeit, um mir auch nur irgend etwas im steirischen herbst anzuschauen, da ich jegliche Kraftreserven für mein zweites Village Jazz Festival brauchte. Daher überlasse ich die übliche statistische Zusammenfassung dem Pressebüro und die Eröffnungsrede der Intendantin.

Grafik: Grupa Ee

Bei Humans and Demons geht es nicht um „Gut und Böse“. Nein, Humans and Demons bedeutet eher „Status quo und Böse“.

Wir wissen, was schrecklich ist, aber oft nicht, was gut ist – soll es gut sein für den Planeten im nächsten Jahrhundert oder gut für den Urlaub unserer Kinder heute? Gut für den gerechten Sieg über den Aggressor oder für den sofortigen Friedensvertrag mit dem Aggressor? Für die offene Ablehnung der Diktatur oder für die Sicherheit unserer Familie, die noch unter dieser Diktatur lebt?

Diese schwierigen Entscheidungen können nicht warten, müssen inmitten des Kriegs, der Krise oder zunehmender politischer Repression getroffen werden. Es scheint, das „Böse“ ist heute universell, türmt sich von allen Seiten auf, wäh­rend das „Gute“ relativ ist, in die Privatsphäre verschoben wurde, wo es auf einer sehr persönlichen Idee von dem basiert, was – unter den gegebenen Umständen – richtig ist.

Viele Entscheidungen werden vom Überlebensinstinkt diktiert werden, und sie könnten uns in Grauzonen bannen – Zonen des Kompromisses, der Kollaboration, des Verrats, des Pakts mit der Macht oder mit dem Teufel höchstpersönlich (so wie der eines unserer heurigen Charaktere: Dr. Jazz, ein Fan, Sammler und Unterstützer schwarzer Jazzmusik und gleichzeitig ein geflissentlicher Nazi-Offizier).

Primo Levi verstand etwas über Grauzonen, als er im KZ war, wo die Kapos und Sonderkommandos zwischen den Herren und den Häftlingen standen. Er wusste es zu vermeiden, sie zu verurteilen, aber nicht, über dieses Phänomen nachzudenken. Und er verstand, dass die Lektionen des KZs die Menschheit nach ihrer Schließung weiterhin begleiten.

„Auf diese Weise wurde innerhalb der Lager“, schreibt Levi, „die hierarchische Struktur des totalitären Staates, in dem alle Macht von oben her verliehen wird und eine Kontrolle von unten her nahezu ausgeschlossen ist, in kleinerem Maßstab, aber mit vergrößerten Merkmalen reproduziert.“

Und falls wir glauben, dass der totalitäre Staat uns nicht betrifft, fährt er fort:

„Der Aufstieg der Privilegierten ist nicht nur in den Konzentrationslagern, sondern in allen menschlichen Lebensverbänden ein beängstigendes, aber unabänderliches Phänomen: sie fehlen nur in den Utopien … Wo es eine von wenigen oder von einem einzelnen ausgeübte Macht über viele gibt, entsteht und vermehrt sich das Privileg, auch gegen den Willen der Macht selbst; aber es ist normal, daß die Macht es toleriert oder fördert.“

So beunruhigend es klingen mag, wenn wir unsere freien Gesellschaften verstehen wollen, ist es Zeit, auf Leute zu hören, die in Lagern und Diktaturen gelebt haben, die Stimmen derer zu hören, die es noch immer tun, derjenigen, die weiterhin in Russland, Belarus, Iran, Afghanistan oder gar Nordkorea leben – wir können uns nicht sicher sein, dass es dort keine unterdrückten Stimmen gibt, Stimmen, die sehr bald verstummen könnten.

Und wir müssen diejenigen wieder lesen, die vor uns mit dieser Erfahrung in ihren Knochen geschrieben haben. Es war nicht immer alles dunkel und tragisch, das Überleben kann genauso amüsant wie abenteuerlich sein.

In seinem Buch vom Lachen und Vergessen, dem ersten, das er im Westen, im Anschluss an seine Flucht aus der Tschechoslowakei nach dem sowjetischen Einmarsch, geschrieben hat, beschreibt der Romancier Milan Kundera das Leben als Koexistenz „engelhafter“ und „dämonischer“ Elemente. Er spricht von verschiedenen Arten des Lachens – Engel und Dämonen lachen unterschiedlich und über unterschiedliche Dinge. Engel und Dämonen sind für ihn nicht Gut und Böse – der Unterschied ist der, dass Engel sich sicher sind, dass die beste aller möglichen Welten einen Sinn hat, während Dämonen dies als absurd erscheint. Sie sehen keinen rationalen Sinn in irgendetwas und haben auch kein Bedürfnis, einen zu suchen.

In seiner Studie Das Böse liest der britische Literaturwissenschafter Terry Eagleton Kunderas Gegensatz politisch: Das „Engelhafte“ meint die Art, wie Politiker in ihrer klischeehaften Rhetorik über das Gemeinwohl, Patriotismus, Familie, Werte sprechen. Das „Dämonische“ meint die zynische Art, wie Politiker denken oder einander zuflüstern: Business as usual; wirtschaftliche Interessen; Realpolitik befreit von moralischen Fragen; lass uns einfach reich werden, man kann eh nichts ändern.

Wenn ich Eagletons Gedanken folge, würde ich vielleicht sagen, dass für Kundera, der gerade den Ostblock verlassen hatte, das „Engelhafte“ die leere bürokratische kommunistische Propaganda war, die er sehr gut kannte, und das „Dämonische“ – die leblose Maschine des gierigen Kapitalismus, der er gerade im Exil begegnete.

Kundera schreibt, dass beide Seiten in unserem Leben vorhanden sein sollten, um das Gleichgewicht zu halten. Aber er tut dies, weil er als Schriftsteller, als Intellektueller nach einem Ort suchte, der er ihm die Freiheit geben konnte, sich mit nichts zu identifizieren. Er wollte sich zwischen diesen beiden, dem „Engel­haften“ und dem „Dämonischen“, verstecken. Und es gelang ihm.

Heutzutage haben der ehemalige Osten und der ehemalige Westen allerdings bereits das Schlimmste voneinander gelernt. Der Westen fühlt sich breschnewistisch an mit seiner Bürokratie und seinen „Bullshit Jobs“. Der Osten ist so wirtschaftlich grausam und inhuman, wie er den kapitalistischen Westen früher dargestellt hat. Auch in der Kunst und Kultur haben die beiden die Rollen ge­tauscht. Die zeitgenössische Kultur der „freien Welt“ verkündet gelegentlich, dem „engelhaften“ Weg folgend, nichtssagende progressive Klischees. In Diktaturen wie dem heutigen Russland erfreut sich die Kunst hingegen oft nur des Pragmatischen und Entpolitisierten – des „Dämonischen“, nach Kundera und Eagleton. In beiden Fällen passt sich die Kultur an, unterstützt diejenigen, die die Regeln festlegen, und wechselt auf ihre Seite.

Ich würde Sie jetzt bitten, sich umzudrehen und sich eine Person, die bislang auch zugehört hat, genau anzuschauen. Es ist der Krieger vom 27. Infanterieregiment, einer Habsburger Militäreinheit, die vom 17. Jahrhundert bis zum Jahr 1919 aktiv war und hier 1932 in einem Denkmal verewigt wurde, vom Grazer Bildhauer Wilhelm Gösser, berüchtigt als „Arno Breker Österreichs“. Der Stil der Statue lässt uns erschaudern, auch wenn das Böse der Massenvernichtung, deren Geist sie ist, noch bevorstand. Die von ihr verkündete Ordnung ist patriarchalisch und aggressiv. Von dieser scheinbar menschlichen Figur geht eine Entmenschlichung aus.

Im Kontext von Humans and Demons sollten wir diese Figur jedoch eher als komisch denn als furchterregend betrachten. Jahrzehntelang lebte der Bildhauer Wilhelm Gösser bequem in einer Grauzone und diente jedem, der an der Macht war, ohne sich selbst klar zu positionieren, was ihm den Ruf eines freien Künstlers einbrachte, der nie der Kollaboration bezichtigt wurde. Vor diesem Krypto-Nazisoldaten hatte er Peter Rosegger und Engelbert Dollfuß gebildhauert, im Anschluss – Hitler und Mussolini. Im Früh­jahr 1945 meldete er sich freiwillig, um eine ganze Armee von Stalin-Büsten für den Bedarf der Sowjets herzustellen, nur um später mit Kriegsdenkmälern für österreichische Gefallene und Friedenssymbolen weiterzumachen. In den 1960ern und sogar bis in die 1990er wurde seine Kunst in der Steiermark als „kerngesund“ und „regenerativ“ gelobt. Dieses Lob verdankte er seiner „positiven“ Überlebenskraft, seinem Konformismus und seiner Anpassung, seiner Stärke im Gehorsam, im Gegensatz zu ungesundem Zweifel und Reflexion. „Furchtlos und treu“ lautet die Inschrift – Wilhelm Gösser aber war alles andere als das, er war feige und unstet, und ich kann nicht umhin, seine Figur genauso zu betrachten.

So wird der Soldat paradoxerweise menschlicher, zerbrechlicher. Er steht hier, pompös und stramm, aber halb vergessen und machtlos. Seine Bewegungslosigkeit erscheint wie eine Lähmung, und die einfache Tatsache, dass es sich um eine Skulptur handelt, wie Stummheit. Eines Tages könnte er jedoch auf­wachen. Die Meister dieser fiktiven Krieger, Künstler wie Gösser, erheben bereits ihre Köpfe – und ihre Hände – in verschiedenen Teilen der Welt, wo die Aggression gegen den Nachbarn langsam zur Grundlage des Nationalstolzes wird.

Beim steirischen herbst haben wir immer die dissidente Stimme der Kunst unterstützt, die Stimme der Ungehorsamen, der Andersartigen, derjenigen, die wie Kundera mit ihren rätselhaft poetischen Geschichten sowohl der Falle der engelhaften Didaktik wie der der dämonischen Wurschtigkeit entkommen. Wenn wir glauben, dass es in unserer kleinen und sicheren freien Welt nicht mehr nötig ist, für solch eine Stimme der Kunst zu kämpfen, liegen wir falsch, oder könnten sehr bald falschliegen.

Aber jetzt ist es Zeit für die Stimme.

Rückblick steirischer herbst ’23 – Humans and Demons

Am Sonntag endet die 56. Ausgabe des steirischen herbst, die sechste unter der Leitung von Intendantin und Chefkuratorin Ekaterina Degot. In Ausstellungen, unterschiedlichen Performance-Formaten, Diskursveranstaltungen, Kabaretts und einer Clubreihe ließ Humans and Demons die Grenzen zwischen den Künsten sowie zwischen Populär- und Hochkultur hinter sich, um sich anhand von Figuren und ihren Geschichten mit moralischen Grauzonen in unserer heutigen Welt auseinanderzusetzen.

„Ich freue mich, dass wir mit der ersten Ausgabe meiner neuen Intendanzperiode dort weitermachen konnten, wo wir mit dem steirischen herbst ’22 aufgehört haben: mit einem Programm, das neue Geschichten über Graz erzählt und diese mit dem aktuellen Geschehen in der Welt verbindet. So haben wir es wieder geschafft, für das Grazer Publikum ebenso interessant zu sein wie für die internationale Presse. Ich bin mir sicher, dass unsere diesjährigen Auftragsarbeiten in Erinnerung bleiben werden – etwa die Eröffnung am Schloßberg mit der Performance von Lulu Obermayer, der hypnotische Animationsfilm von Dana Kavelina, die Audioinstallation von Anton Kats, die Filme von Meg Stuart oder die bewegende Performance in der Annenstraße von Mateja Bučar. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Ausgabe und sehr stolz darauf, dass der freie Eintritt zu unseren Ausstellungen und ein umfangreiches Vermittlungsprogramm, das wir auch Partnerinstitutionen in der Stadt anbieten, dem Festival mehr Publikum beschert haben. Der steirische herbst hat 2023 wieder gezeigt, dass er ein reichhaltiges Festival mit vielen verschiedenen, faszinierenden Facetten ist. Das ist der Weg, den wir in die Zukunft gehen wollen.“

—Ekaterina Degot

Mehr als 530 Mitwirkende aus 32 Ländern ermöglichten mit rund 125 lokalen Initiativen und Partner:innen das heurige Festival. Unabhängig vom Aufenthaltsort konnten die meisten vom steirischen herbst in Auftrag gegebenen Videoarbeiten auch online angeschaut werden, dazu gab es Livestreams vieler Diskussions-veranstaltungen. Auch der Ö1 Festivalpodcasttrug den steirischen herbst über Graz und die Steiermark hinaus. Jede Sendung dieser Kooperation mit Ö1 erreichte heuer wieder weit über 100.000 Hörer:innen.

Etcetera

steirischer herbst ’23

Design: Grupa Ee

Humans and Demons

Festival: 21.9.–15.10
 Neue Kurator:innen
Zu Beginn der zweiten Amtszeit von Intendantin und Chefkuratorin Ekaterina Degot begrüßt der steirische herbst zwei neue Mitglieder im kuratorischen Team: Pieternel Vermoortel ist neue Senior Kuratorin mit Schwerpunkt auf bildender Kunst. Sie leitete zuvor die belgische Kultureinrichtung Netwerk Aalst und ist Mitbegründerin des Londoner Kollektivs und Kunstraums FormContent. Gábor Thury verstärkt das Team als Kurator mit Schwerpunkt auf Performance und Theater. Sein beruflicher Werdegang hat ihn bereits als festen Dramaturgen ans Luzerner Theater sowie ans Hamburger Thalia Theater geführt.

 steirischer herbst ’23 – Humans and Demons
Der steirische herbst ’23 findet vom 21. September bis 15. Oktober unter dem Titel Humans and Demons in Graz und der Steiermark statt. Statt auf Begriffe oder Positionen, wie sie in der Kunstwelt gerne proklamiert werden, setzt das Festival heuer auf figurenzentriertes Erzählen, um die moralischen Grauzonen zu erkunden, mit denen wir heutzutage vielfach konfrontiert sind. Intendantin und Chefkuratorin Ekaterina Degot über ihre Ausgangsüberlegungen zur 56. Ausgabe:

„Wird der Ukraine-Krieg ewig dauern? Schickt uns ein nächstes Virus in den Lockdown? Wird künstliche Intelligenz die Menschheit ersetzen oder erwischt uns der Klimawandel zuerst? Es gibt keine einfachen Antworten auf die vielen Krisen der Gegenwart. Wir bewegen uns aktuell durch Grauzonen, in denen die dämonischsten Seiten der Menschheit zum Vorschein kommen. Solche heiklen moralischen Situationen kennt man schon aus dem gewalttätigen 20. Jahrhundert. Aber das Böse nimmt heutzutage auch neue, verführerische Formen an. Umso wichtiger ist es, wie Primo Levi sagt, die Linie zu ziehen, die die bloß Schwachen von den tatsächlich Bösen trennt.“

Die Charaktere im Mittelpunkt der Ausstellungen und Performances des steirischen herbst ’23 sind weder Held:innen noch Schurk:innen, sondern ähneln den charismatischen Figuren des Schelmenromans – einer frühneuzeitlichen Gattung, die zu einer Stadt wie Graz mit ihrer vormodernen Topografie bestens passt. Die über vierzig Arbeiten von Humans and Demons, von denen ein Großteil neue Auftragswerke sind, bieten Anknüpfungspunkte, um Graz und seine Welt neu zu entdecken – und dabei den scheinbar unbedeutenden, unheimlichen und manchmal merkwürdig optimistischen Geschichten der Stadt zu lauschen.


Lulu Obermayer, Foto: Stefan Burger

Lulu Obermayer eröffnet den steirischen herbst ’23 mit einer Performance über ein kryptofaschistisches Soldatendenkmal auf dem Schloßberg (in Kooperation mit der Oper Graz). Weitere Eröffnungsperformances von Adrienn Hód / HODWORKS und Michael Portnoy befassen sich mit den Zwängen und Verlockungen von Gehorsam und Social Engineering. Giacomo Veronesiuntersucht geopolitische Grauzonen, Mateja Bučar beschäftigt sich mit der Auslöschung des jüdischen Graz in der Annenstraße (in Kooperation mit dem Verein CLIO). Im weiteren Verlauf des Festivals erkundet das Theater im Bahnhof Deliberative Demokratie und Madame Nielsen beschwört die ambivalente Figur David Bowies herauf. In Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Graz entsteht außerdem eine neue Performance von Jasmina Cibic am zweiten Wochenende.

Neben diesen Performances bilden vier Gruppenausstellungen an vier teils ungewöhnlichen Orten das Herzstück des steirischen herbst ’23. Diese sind um historische Figuren aufgebaut, die mit der Geschichte von Graz verbunden sind.

Der erste Ausstellungsort ist ein Leerstand im noblen Mariagrün. Ein verlassenes Callcenter mit seiner genormten Architektur und seinem markanten Funkturm wird zur Heimat von Demon Radio, durch das Dr. Jazz, auch bekannt als Dietrich Schulz-Köhn, geistert. Schulz-Köhn war ein überzeugter Nazi und Offizier der Luftwaffe, aber auch ein Fan und Sammler der von seiner eigenen Partei verbotenen Jazzmusik. Nach dem Krieg wurde er zu einem erfolgreichen Radiomoderator und stiftete seinen Nachlass dem Grazer Institut für Jazzforschung. Ausgehend von seiner Geschichte beschäftigen sich die hier versammelten Werke – von Zuleikha ChaudhariAnna Engelhardt und Mark CinkevichDani GalJos de Gruyter & Harald ThysAnton KatsMichael Stevenson und Markus Sworcik und René Stiegler – mit widersprüchlichen Botschaften und Besessenheit.

Der zweite Ausstellungsort ist ein Langzeitpartner der Festivals: das Forum Stadtpark. Ein wenig erinnert es an eine modernistische Villa. Für den steirischen herbst ’23 wird es zur Villa Perpetuum Mobile, dem fiktiven Heim von Stefan Marinov, einem Dissidenten an mehreren Fronten. Der Physiker opponierte nicht nur gegen das kommunistische Regime in seiner Heimat Bulgarien, sondern glaubte in seinem Grazer Exil auch ein Perpetuum Mobile erfinden zu können. Als seine Experimente scheiterten, beging er Selbstmord. Die Beiträge in dieser Ausstellung – von Alice CreischerVadim FishkinHollis FramptonPedro Gómez-Egaña und Michael Stevenson ­– sind Objekte eines imaginären Interieurs, in dem Marinov gelebt haben könnte, und zeigen verschiedene Facetten seiner Suche nach Freier Energie.


Meg Stuart, Videoinstallation für den steirischen herbst ʼ23, Standbild, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin

Bekannt ist auch der dritte Ausstellungsort: Seit den 1960er-Jahren bringt das Minoritenkloster am rechten Murufer Religion und moderne Kunst zusammen. Eine der ersten dort ausgestellten Künstlerinnen war Mira Schendel. In eine katholische Schweizer Familie jüdischer Herkunft geboren, verbrachte Schendel den Zweiten Weltkrieg in Italien und Jugoslawien und erhielt 1944 in Graz einen kroatischen Pass. 1949 ging sie nach Brasilien, wo sie mit ihrer neo-konkreten Kunst berühmt wurde. Inspiriert von ihrer Geschichte verwandelt sich das Kloster für das Festival in die Church of Ruined Modernity. Diese steht für den Kontinent, den Schendel zurückgelassen hat, und reflektiert die Gewalt der Moderne – mit Werken von Pavel BrăilaAndrea BüttnerCyprien GaillardDana KavelinaMaria LobodaEteri NozadzeAndreas Fogarasiund Meg Stuart. Die letzten beiden neuen Auftragsarbeiten beziehen sich auf eines der herausragenden Denkmäler der Grazer Nachkriegsmoderne: die zu Festivalbeginn bereits abgerissene Vorklinik. Pavel Brăilas neuer Film beschäftigt sich hingegen wie Mateja Bučars Performance mit der Arisierung der Annenstraße (in Kooperation mit CLIO). Damit bestärkt der steirische herbst sein Engagement für die Stadt und ihre Lokalgeschichten, die über das Lokale hinausgehen.

Als letzter Ort wird ein weiterer Leerstand belebt – direkt am Griesplatz. Den ehemals flutgefährdeten Bezirk, in dem die Arbeiterklasse sowie Migrant:innen lebten und zum Teil immer noch leben, stellt sich der steirische herbst für diese Festivalausgabe unter den Wassern der Vergangenheit begraben vor. Ein ehemaliger Supermarkt, hinter dem sich ein ehemaliger Tanzsaal verbirgt, wird zur Zeitkapsel Submarine Frieda. Von hier aus kann man das Treiben im Bezirk beobachten – mit Werken von Lucile DesamoryGeorg Haberler und Shimabuku. Aber wer ist Frieda? Eine zufällige, fiktive Heldin, die entstand, als Pazifist:innen in der Zwischenkriegszeit aus Angst vor den Nazis das Wort „Friede“ auf dem Foto einer Demonstration veränderten. Frieda steht für all die anonymen Held:innen der Vergangenheit, die durch den Mahlstrom der Unterdrückung schwammen.

Die Ausstellungen und Performances von Humans and Demons werden begleitet von Artist Talks, Podiumsdiskussionen und einem prominent besetzten Symposium zur österreichisch-russischen Beziehung und der europäischen Verantwortung für den Ukraine-Krieg. Darüber hinaus arbeitet der steirische herbst mit dem INDIGO Festival in Ljubljana für ein Streitgespräch zwischen Peter Sloterdijk und Slavoj Žižek zusammen.

Außerdem geht die Sonderrubrik des Festivals in der Literaturzeitschrift manuskripte in ihre zweite Runde. Auch das herbstkabarett kehrt zurück, diesmal mit sechs eigens in Auftrag gegebenen Shows von Julie BénaSelin DavasseBarbara JuchJessika und Jimmy KhazrikMikołaj Sobczak und Stefanie Sourial.

Zusätzlich gibt es heuer erstmals gleich vier herbstbars mit unterschiedlichen Angeboten, um nahe an den meisten Festival-Locations zu fast jeder Tages- und Nachtzeit zusammenkommen zu können. herbst-Specials gibt es dieses Jahr neben dem Feinkost Mild auch im Café Centraal, dem Contra Punto und der Beate. Zudem kehrt die Clubreihe des Festivals mit vier herbstclub-Veranstaltungen zurück.

Das Festivalprogramm wird außerdem wie immer von der herbstvermittlungmit verschiedenen Formaten begleitet. Darunter die sogenannten Eat and Greets – Artist Talks im Anschluss an Performances in Form von informellen Abendessen, Führungen durch die vier Ausstellungen für unterschiedliche Zielgruppen sowie Programme in Kooperation mit dem ORF musikprotokoll und anderen Partner:innen in der Stadt. Das Besucher:innen- und Pressezentrum befindet sich heuer zentral gelegen im Kunsthaus Graz.


Adrienn Hód / HODWORKS, Foto: Dániel Dömölky

Künstler:innen und Kollektive
Pavel Brăila, Mateja Bučar, Andrea Büttner, Zuleikha Chaudhari, Jasmina Cibic, Alice Creischer, Lucile Desamory, Anna Engelhardt und Mark Cinkevich, Vadim Fishkin, Andreas Fogarasi, Hollis Frampton, Cyprien Gaillard, Dani Gal, Pedro Gómez-Egaña, Jos de Gruyter & Harald Thys, Georg Haberler, Adrienn Hód / HODWORKS, Anton Kats, Dana Kavelina, Maria Loboda, Madame Nielsen, Eteri Nozadze, Lulu Obermayer, Michael Portnoy, Shimabuku, Michael Stevenson, Meg Stuart, Markus Sworcik und René Stiegler, Theater im Bahnhof, Giacomo Veronesi; herbstkabarett mit Julie Béna, Selin Davasse, Barbara Juch, Jessika und Jimmy Khazrik, Mikołaj Sobczak, Stefanie Sourial

Festivals-im-Festival
Wie gewohnt umfasst der steirische herbst zwei Festivals-im-Festival. Dank Unterstützung des Landes Steiermark kann das ORF musikprotokoll auch 2023 stattfinden. Unter dem Titel interconnected | interdependent lädt Elke Tschaikner und ihr Team vom 5. bis 8. Oktober dazu ein, die uns umgebende Umwelt nicht als statischen Ort, sondern als dynamisches Beziehungsgeflecht zu betrachten. Out of Joint – das Literaturfestival im steirischen herbst, konzipiert von Klaus Kastberger, wirft auch heuer einen Blick aus der Zukunft auf die Gegenwart und schaut vom 10. bis 13. Oktober unter dem Motto Wer gegen wen? auf die Bruchlinien moderner Gesellschaften.

Partnerprogramm
Wie in den vergangenen Jahren richten verschiedene Kulturinstitutionen und Künstler:innen aus Graz und der Steiermark im Rahmen des steirischen herbst eigene Projekte aus. In der zweiten Woche legt das Festival heuer erstmals einen Schwerpunkt auf sie.

Zu den Partner:innen 2023 zählen APORON 21Camera AustriaCLIO Verein für Geschichts- und Bildungsarbeitesc medien kunst laborGrazer KunstvereinGrazer Spielstätten / GRIESSNER STADL / Schallfeld EnsembleGrätzelinitiative MargaretenbadHDA – Haus der ArchitekturLisa Höllebauer und Lisa SchantlKiG! Kultur in GrazKULTUMUSEUM GrazKunsthaus GrazmanuskripteQL-GalerieDas Planetenparty Prinzipprenninger gesprächeRoter KeilSchauspielhaus GrazSteirische Gesellschaft für KulturpolitikChristoph SzalayTheater am Lend / Franz von StrolchenHeinz Trenczak.

Neben einer Kooperation mit dem Schauspielhaus Graz für die Österreichpremiere von Elfriede Jelineks Sonne/Luft, finden sich weiters eine Bibliothek des Widerstands in Prenning’s Garten, historische Rundgänge zur Arisierung der Annenstraße von CLIO, eine von Christoph Szalay kuratierte Wanderung mit Performances durch die Ramsau, die Jubiläumsschau zu zwanzig Jahren Kunsthaus Graz, die zweite Ausgabe der prekARTe von APORON 21, neue Ausstellungspartner wie Roter Keil und KiG! Kultur in Graz ebenso wie viele weitere neue und wiederkehrende Partner:innen unter den zahlreichen spannenden Projekten.

 Ö1 Festivalpodcast
Das vierte Jahr in Folge arbeitet der steirische herbst mit dem öffentlich-rechtlichen Sender Ö1 für einen Festivalpodcast zusammen. Zeitgenössische Kunst in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen in den Fokus rücken, die Interdisziplinarität in der Kunst fördern und der Reflexion des Zeitgeschehens ausreichend Raum bieten – all das sind Themen, die Ö1 und den steirischen herbst miteinander verbinden. Auch diesmal wird der Festivalpodcast zu weiterführenden Gesprächen und Gedanken einladen – sowohl auf Ö1 als auch auf radiothek.ORF.at.
 

Der steirische herbst ’23 wird kuratiert von Ekaterina Degot, David Riff, Pieternel Vermoortel, Gábor Thury, Barbara Seyerl und geschaffen von allen teilnehmenden Künstler:innen, Sprecher:innen und Partnerinstitutionen sowie dem Team des steirischen herbst. Das herbstkabarett wird von Mirela Baciak kuratiert. Das vollständige Programm wird am 15. August veröffentlicht. An diesem Tag beginnt auch der Online-Ticketverkauf. Die Akkreditierung für Presse und Fachbesucher:innen ist ebenfalls ab August möglich. Für eine frühere Registrierung und bei Fragen kontaktieren Sie bitte presse@steirischerherbst.at. Bildmaterial finden Sie unter: www.steirischerherbst.at/presse

Über den steirischen herbst
Der steirische herbst ist ein jährlich stattfindendes interdisziplinäres Festival für zeitgenössische Kunst, das seit seiner Gründung 1968 ein kritisches Anliegen verfolgt und die begrifflichen Grundlagen dessen, was Kultur für das Zeitgenössische bedeuten könnte, immer wieder neu definiert. Als produzierendes Festival mit internationaler Strahlkraft ist der steirische herbst fest in Graz und der Steiermark verwurzelt und rückt künstlerisches Schaffen in den Fokus, das gesellschaftspolitische Fragen kommentiert und öffentliche Debatten auf unterschiedliche Art, quer durch alle Disziplinen und Medien provoziert und konturiert. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
steirischer herbst Pressebüro
presse@steirischerherbst.at
+43 316 823 007 61

I Dream A World

Chorkonzert der Grazer Keplerspatzen

Dirigent Ulrich Höhs

Die Keplerspatzen laden zum gemeinsamen Träumen ein. Gemeint ist damit keine Realitätsflucht. Und wer diesen jungen, stets frischen Chor kennt, weiß auch, dass es wohl kaum die Müdigkeit sein kann, die an diesem Abend Rhythmus und Intonation vorgeben. Nein, es geht hier um den Traum einer besseren, gerechteren, mit einem Wort, einer menschlicheren Welt. 

Als Ouvertüre dient die zeitgenössische Bearbeitung eines Meisterwerks der Madrigalmusik, welches in seiner Schlichtheit die Quintessenz dieses Abends zum Erklingen bringt: Because all men are brothers. Sodann geht es auch schon mit (zwei) großen Schritten (Mozart und Schubert) weiter zur Musik des 20. Jahrhunderts und unserer heutigen Tage. Hier ertönt das Thema in all seiner Vielschichtigkeit. So offenbarte das Träumen gerade im 20. Jahrhundert auch seine Schattenseiten: Wenn etwa im Namen einer erträumten und angeblich perfekten Welt von Morgen, das Bestehende (das dem höheren Ziel entgegenzustehen scheint) negiert, die Freiheit versklavt und die Wahrheit verleugnet wird – all das im Namen eines Zwecks, der angeblich die Mittel heiligt. So kommt auch im – nur scheinbar –  leichtfüßigen Dialog von Kälbchen und Schwalbe („Dana, Dana“) die unerträgliche Tatsache zur Sprache, dass Menschen zur Schlachtbank geführt werden. Auch wenn man wegen dieser möglichen Gefährlichkeit das Träumen von einer besseren Welt kompromittiert sieht, als hoffnungsvoller Blick in die Zukunft ist es existenzielle Notwendigkeit: Hold fast to dreams, for if dreams die, life is a broken-winged bird that cannot fly. Gemeint ist hier wohl auch der notwendige Optimismus, aus dem wir tagtäglich schöpfen, wenn wir morgens unsere Augen öffnen:  You are the new day. I will love you more than me and more than yesterday. Er durchströmt uns als unaussprechliche Hoffnung, als namenlose Vorfreude, die ihren Gegenstand noch gar nicht kennt: Something’s coming, I don’t know what it is, but is gonna be great. Als gute Stimmung ist sie die Kraftquelle, die den Traum einer besseren Welt auch Umzusetzen ermöglicht: Be the change you want to see. Zu dieser Stimmung möchten die Keplerspatzen mit ihren kräftigen Stimmen etwas beitragen: We sing out our truth („Song for Justice“). Und überhaupt, was gibt es besseres als einen Chor für das gemeinsame Träumen? In music we are one („One Voice“).

Musikkabarett mit Christof Spörk

„Landstreich plus“ reloaded im Lässerhof

Stattegg erlebte zuletzt 2015 einen fulminanten Solo-Abend mit Christof Spörk (Gangway Cult-Mag berichtete). Diesmal wird er mit der legendären „Landstreich“ in einem Exklusivkonzert der Tour 2023 das Publikum begeistern.

„Landstreich plus“, das sind Johanna Kugler (viol, voc), Krzysztof Dobrek (acc), Gerhard Draxler (bass, voc) und Christof Spörk (cl, voc). Es erwarten Sie die besten Songs aus der Landstreich-Zeit, launige Sketches und neue Schmankerln.

Donnerstag, 1. Juni 2023
19:30 Lässerhof, Hofweg 2

Karten http://www.kulturinstattegg.at/reservierung.html

Somerset Barnard am Platoo Montag

Ein australischer Bluesman mit Hong Kong-chinesischer Mutter, der in Wien lebt, war DIE Entdeckung am „Platoo Montag“ in der Scherbe.

Zweimal Somerset Barnard: am Cover von The Stranger und live in der Scherbe (Doppelbild)

Als wir uns vor der Show unterhielten, wirkte er beinahe schüchtern, auf der Bühne dann jedoch selbstsicher und stimmgewaltig, diese Stimme hätte sicher auch unplugged den Scherbenkeller beschallt. Er würdigt den Delta Blues, hat einiges von seinen Idolen gelernt (geklaut wie er sagt), wie Ry Cooder oder Robert Johnson, hat jedoch seinen eigenen Weg gefunden und geht ihn konsequent, ob als Straßenmusiker oder auf einem Blues Festival.

Inhalte sind die Themen des Genres: Mexikanische Flüchtlinge, Rassen Diskriminierung, Besäufnisse, Obdachlose (Poor Black Sally), Gospel (The Saviour) obwohl er ausdrücklich nicht religiös ist. Seit sechs Jahren bereist er nun von Wien aus die Welt, hat aber auch zwei Alben in der Cselley Mühle im Burgenland eingespielt, u.a. mit Ernst Molden: „Trains & Churches“ (2018) und „The Stranger“ (2020), ein Buch wird folgen.

Wie viele Australier ist er ein constant traveler der Brisbane (Queensland) verlassen hat um zu den Lehrern des Blues zu reisen, selbstredend in die USA, wo sein Vater gearbeitet hatte, aber auch in Länder wie Sierra Leone, wo er durch einen einzigen Moskitostich schwer an Malaria erkankte, aber aus seinen Fieberträumen Lieder entstehen ließ.

Mit einer Anekdote von einer Guinnes Bier-Sauftour in Irland erklärt er die seltsame Slide Gitarre aus einer Keksdose und einem Treibholz, das er beim Surfen gefunden und daraus ein schnarrendes Instrument gebaut hatte. Und das neben einer Gitarre, die er seine „Freundin“ nennt und die ihn überallhin treu begleitet hat.

Als story teller behandelt er immer wieder Beobachtungen, die er nicht aus Neugier, sondern unterbewusst und wertfrei anstellt, Analysen, die ihm helfen Tag für Tag als „Fremder“ zu leben.

Infos somersetbarnard.com

Gschichtldrucker Marco Pogo im Theatercafé

Kleinkunstbühne Hin & Wider

Eine Eierspeis mit einem Bier ist die traditionelle Bestellung beim Besuch einer Vorstellung im Theatercafé in der Mandellstraße. Die andere Tradition der Kleinkunstbühne „Hin und Wider“ ist das Kabarett. Als Zeitgenossen erinnere ich mich an Leo Lukas, J.M. Willnauer, Rudi Widerhofer und Co. – und heute ist es eben Marco Pogo, ein Spaßvogel aus Wien-Simmering, der dort mit seiner Bierpartei als Dominik Wlazny unbeabsichtigt Bezirksrat wurde und aus Jux sogar zur Wahl als Bundespräsident antrat, wo er es überraschenderweise auf Platz drei schaffte.

Im Theatercafé versuchte sich der 36-jährige Mediziner, Bandleader und Parteigründer auch als Kabarettist, was ihm jedoch nur teilweise gelang. Ja, er ist talentiert, hat Charme, der im Publikum (und bei politikverdrossenen Wählern) gut ankommt, er ist eloquent und selbstbewußt, aber die Gschichtln, die er druckt, sind – wenn auch überspitzt – zu nah an selbst erlebter Wahrheit, dass sie jedem aus dem Alltagsleben nachvollziehbar bekannt sind und wir nichts daraus lernen. Ja, es sind schon lustig Sachen dabei, aber eigentlich lacht man dabei über sich selbst. Das peinliche Verhalten der Österreicher im Ausland, der Spießrutenlauf bei Amtswegen, die Hürden bei der Umstellung der Handysignatur, all das sind bestens bekannte Klischees und nichts Einzigartiges.

Man verbringt einen unterhaltsamen Abend mit Marco Pogo, wird aber enttäuscht, wenn er sich in der Pause versteckt und sich nur Minuten nach der Show in sein Hotel absetzt und sich keinem Gespräch stellt. Zurückgelassen hat er bloß Berge von „I hos olle Leit“ Merchandise. Dabei hätte ich ihm als Kollege in Sachen Kommunalpolitik gerne bei einem Bier ein paar Fragen gestellt.

Gerald Ganglbauer

Info marcopogo.com

Schwerelos

Gravity & Other Myths

Werner Schrempf hat sich mit „La Strada“ und dem Neuen Zirkus „Cirque Noël“ zum Jahreswechsel einen Fixplatz in der imaginären Galerie kreativer Kulturmacher erarbeitet. Superlative Leistungen haben das Publikum erstaunt, begeistert und gefesselt.

Stell dir vor es geht das Licht an

Die aus Adelaide im kühlen Südaustralien stammende Companie „Gravity & Other Myths“ hat er nun schon zum dritten Mal nach Graz geholt – alle Programme waren von einer beeindruckenden Akrobatik und sinnlicher Choreografie, sodass man tatsächlich glauben mochte, die Schwerkraft sei ein Mythos, zumindest Down Under. Arts South Australia und dem Australia Council for the Arts sei gedankt für die Unterstützung.

in drei Sunden die nächste Show

Als australischer Landsmann freute es mich umsomehr, der Gruppe nach der Show ein dickes Gangway Kulturmagazin zu überreichen, das ihre ersten beiden Auftritte in Graz dokumentierte. Schön zu erleben, wie stolz sie sich auf den abgedruckten Fotos selbst erkannten.

Der alte Mann und die jungen Akrobaten

Im Sommer wird man sie in der Oper Graz zur Eröffnung von La Strada wieder sehen. 24 Akrobat:innen und 36 Chorstimmen werden in der bislang größten Bühnenproduktion „The Pulse“, einem preisgekrönten Meisterwerk neuer Zirkuskunst, in drei Shows 80 Minuten lang die Grazer von der Schwerelosigkeit überzeugen.

Voodoo in Graz

Nein, nicht die Zauberei aus dem schwarzen New Orleans, sondern der Strizzi aus Tulln, der den Wiener Schmäh perfekt drauf hat. Fast so wie der andere Jürgens.

Die Loge 1 teilte ich mit Bernd Melichar, bemerkte es aber erst am Ende der Show, als das Licht anging. Meine Nachbarin in Loge 2 filmte ich weil sie Voodoos Hit „2L Eistee“ Wort für Wort mitsang. Als ich sie danach um Erlaubnis bat, den Clip veröffentlichen zu dürfen, stellte sich heraus, dass wir einander vom p.p.c. kannten. Also doch Voodoo?

Voodoo Jürgens hatte ich vor ein paar Jahren im Grazer Schauspielhaus kennen gelernt. Damals war er unkompliziert und offen und wir führten ein angenehmes Gespräch über ein mögliches Duett und allerlei andere Dinge. Im Orpheum war er sehr in Eile, konnte sich aber zumindest an mich erinnern. Nun ja, mit Berühmtheit kommen Allüren.

Dieses Konzert war gedacht als die Release Show seines neuen Albums „Wie die Nocht noch jung woa“, aber als ich mich auf den Heimweg machte, konnte ich kein einziges Lied dieses Albums erinnern. „Angst haums“ und „Heite grob ma Tote aus“ waren viel zu mächtig, um Neuem Platz zu machen. Als Beweis dient folgendes Publikum Video seiner Debüt Single, das sein „Sound System“, „Die Ansa Panier“ als Draufgabe feil bot.

Und so erinnert sich mein in der Loge vorerst unsichtbarer Kollege an den Abend.

Bernd Melichars Höhepunkt: Voodoo Jürgens‘ eigene Interpretation von „Angst haums“.