Wer in der Popmusik überleben will, muss drei Kriterien erfüllen.
Die Musik/Besetzung und/oder Stimme muss so unverwechselbar einzigartig sein, dass man sie im unendlichen Musikbrei sofort erkennt, wie zB. David Surkamp (Pavlov’s Dog), Michael Stipe (R.E.M.), Phil Collins (Genesis). Auch Voodoo Jürgens, Klaus Nomi oder Norbert Wally ist bzw war diese Qualität eigen, um auch deutschsprachige Musiker zu nennen.
Man muss in der „richtigen“ Stadt leben. New York, Melbourne oder London bieten Musikern unendliche Möglichkeiten an Labels und Music Venues. Graz, Wies und nicht einmal Wien gehören in diese Kategorie, Berlin vielleicht.
Man muss mit Produzenten, Kritikern und MTV Redakteuren „schmoozen“ können, um das jiddische Wort zu bemühen, und mit den wichtigsten Radiostationen auf du und du sein. Auf FM4 gespielt zu werden ist cool, aber noch lange nicht die Welt.
Warum ich diese Präambel zu der Besprechung des zweiten Albums einer Band mache, die ich bislang noch nicht kannte, liegt auf der Hand. Spring and the Land hat diese Stimme, die einen schon im ersten Track, The Meadow, fasziniert und regelrecht überfährt. Die Kopfstimme und und die kleinen Risse und Unebenheiten sind einzigartig und im dazugehörigen Videoclip sehr schön herausgearbeitet.
Warum es diese auch handwerklich sehr gute Formation um Jacques Bush, Gitarre & Gesang und Marino Acapulco, Schlagzeug, (die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt) auf der internationalen Landkarte der Popmusic noch immer nicht gibt liegt daher an Punkt zwei und drei. Die Musiker sind Grazer und viel zu sympathisch, um sich auf schmoozen zu verstehen.
Jacques Bush
Marino Acapulco
Auch Dogboy!, die voraus gegangene Electronic-Formation der beiden mit dem Debutalbum Watersports, das bereits im Jahr 2002 erschienen ist, hat es nie nach Australien geschafft und nicht einmal in Österreich die Charts erobert.
Ich verdanke es Pumpkin Records unermüdlichem Wolfgang Pollanz und seinem kleinen aber feinen Pumpkin Pool Festival am 1. September 2017 in Wies, die Band persönlich kennengelernt zu haben. Nach diesem intimen Gig keimt in mir die Hoffnung, dass es heimische Musiker doch noch schaffen werden, über die Grenzen hinaus bekannt zu sein und mit Popmusik nicht nur zu überleben, sondern wie Sterne zu scheinen.
Anmerkung 23. Juli 2022: Die Band Website – https://www.springandtheland.com/ – ist leider offline. Wie es scheint, hat sich die Band zu meinem größten Bedauern aufgelöst.
Freitag, 1. September 2017, 18.00 Atelier im Schwimmbad, WIES
Tiger Family
Matthias Forenbacher
Spring and the Land
Kleines, aber feines Musikfestival von pumpkinrecords.
Live on stage: Matthias Forenbacher (solo) Tiger Family Spring and the Land
Matthias Forenbacher, dessen CD „Life Vest“ vor einiger Zeit auf pumpkin erschienen ist, eröffnet den Abend mit einem Set aus alten und neuen Songs – für „Freunde wohltuend unmoderner Klänge mit ihrer stimmigen Mischung aus Folkrock, Country und alternativem Singer/Songwritertum“ wie die Wiener Zeitung schrieb.
Auch die Tiger Family, deren erste LP 2016 ebenfalls auf pumpkin erschien, spielt leise, akustisch und entspannt – „so ist eine andere Dynamik möglich, was Herz und Emotion angeht.“ (Zitat „Kleine Zeitung“).
„Pop der Marke hübsch, prachtvoll und spinnert“, schrieb jüngst der Wiener Falter über Spring and the Land. Die Grazer Band bewegt sich in ihrem eigenen Kosmos und erforscht dabei die unendlichen Weiten der Popkultur.
Wer neugierig ist auf Musik abseits des Mainstreams, hat beim pumpkin pool festival Gelegenheit, viel Neues und Überraschendes zu entdecken.
La Strada: Die fünf Ausnahmekünstler des jungen kanadischen Ensembles sind allesamt Multitalente, die neben dem artistischen auch ihr musikalisches Können unter Beweis stellen. Unter der Regie von Vincent Dubé erschaffen sie eine einzigartige, eine surreale Welt.
15 Jahre nach der Apokalypse finden sie ihre ganz eigene Überlebensstrategie. Ihr Weg zur Rettung führt über eine höchst erstaunliche Maschine – gleich einem Ersatzteillager, mit dessen Teilen sie sich meisterlich spielen. Immer bereit, ihre Körper und Seelen zu entblößen und uns zum Lachen zu bringen, zu bewegen und zu überwältigen.
Cirque Aïtal (Frankreich) Pour le meilleur et pour le pire
„Von kühnen Balanceakten bis zu wild-wirbelndem Spiel auf der Wippe geht das französisch-finnische Paar an seine Grenzen. Schönheit und Anmut, Leidenschaft und ungefilterte Empfindsamkeit behalten hier immer die Oberhand.“
La Strada: „In guten wie in schlechten Zeiten“ heißt diese großartige Produktion des Neuen Zirkus – und auf eine Reise durch genau jene nimmt das Akrobaten-Paar Kati Pikkarainen und Victor Cathala seine Zuschauer mit. Balancierend, durch die Luft fliegend, einander haltend und hebend, inszenieren die beiden Artisten ihre Beziehung, lassen die Zuschauer an der Entwicklung, Spannung und dem Rhythmus des menschlichen Miteinanders teilhaben; streiten, versöhnen und lieben sich in der Manege. Und zeigen damit ihre ganz eigene Interpretation des zeitgenössischen Zirkus: geerdet und ohne Glitter – Autoradios, Abgase und wunderbare Akrobatik inklusive.
Standing Ovations für beide Produktionen: Die Eine bot großartige Akrobatik auf der Opernbühne, die Andere poetische Einblicke im Zirkuszelt
Die Zirkusmaschine sah ich mit den weit offenen Augen eines Kindes, das aus dem Staunen nicht hinaus kam und sich emotional wie schon lange nicht um die Artisten bangte. Was es zu sehen bekam, war eine Superlative akrobatischer Präzision in den unglaublichsten Kunststücken zur rockigen Musik des hauseigenen Schlagzeugers.
Die Episoden des jungen Paares im Zirkuszelt waren ganz anderer Natur. Ein klappriger roter Simca 1000 und ein artiger Hund begleiteten die beiden durch dick und dünn, um am Ende die Prüfungen des (Liebes-)lebens mit kraftvoller wie humorvoller Akrobatik zwar verdreckt, aber gemeinsam zu bestehen: „Le vent nous portera.“
Juli – 5. August 2017 Tickets & Informationen: +43 316 26 97 89 La Strada Graz
Der steirische herbst ist kein Durchlauferhitzer, wo jedes Jahr andere Künstler durchs Dorf getrieben werden. (Martin Baasch, Leitender Dramaturg)
Das Ehepaar Kelly Copper und Pavol Liska, besser bekannt unter dem Namen Nature Theater of Oklahoma, ist wieder im Lande. Nach zahlreichen Episoden von Life and Times, die als Co-Produktionen mit dem steirischen herbst aufgeführt wurden, hat die scheidende Intendantin Veronica Kaup-Hasler die beiden noch einmal in die Steiermark geholt, um Elfriede Jelineks „Die Kinder der Toten“ mit ausgewählten Laiendarstellern und Beteiligung der gesamten Bevölkerung auf Super 8 zu filmen. Die Filmarbeit an sich, die an Originalschauplätzen in der Obersteiermark über vier Wochen im September/Oktober stattfinden wird, ist das eigentliche Kunstwerk. Mit etwas Glück könnte der Film sogar in die Kinos kommen.
Wer frühere Arbeiten der Künstler kennt, wird wissen, dass die freie Adaption von Jelineks Roman wieder sehr provozierend ausfallen wird, wobei Sex, Gewalt und Nationalsozialismus in dem Genre Horrorfilm nicht zu kurz kommen werden.
Für diejenigen Leser, die noch nicht in die Welt des Nature Theater of Oklahoma verführt worden sind, ein kleiner Vorgeschmack aus ihrer letzten Produktion in Köln, „Deutschland 2071“.
Und das liest man im eben online gegangenen Programm des steirischen herbst: Das Nature Theater of Oklahoma wagt heuer außerdem das Unmögliche: Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat ihr, in ihren eigenen Worten, wichtigstes Werk freigegeben für eine filmisch-performative Inszenierung durch das amerikanische Performance-Kollektiv. „Die Kinder der Toten“ – ein „Gespensterroman“, über 666 unheimliche Seiten gehende, phasenweise hochkomische, dann wieder beklemmende sprachliche und geschichtskritische Herausforderung. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit mündet die Auseinandersetzung mit diesem Koloss an Sprache heuer in eines der bislang größten Projekte des Festivals: „Die Kinder der Toten“ wird vielstimmig und multimedial an seinen Ursprung zurückgeführt – nach Neuberg an der Mürz zwischen Mürzzuschlag und Mariazell.
An den Originalschauplätzen werden Kelly Copper und Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma öffentliche Dreharbeiten zu einer freien filmischen Adaption des Romans inszenieren. Zusätzlich entsteht ein Basislager mit zahlreichen Begleitveranstaltungen – hier werden Mitwirkende auf die Drehs vorbereitet; hier stürzen wir uns in eine 144-stündige Dauerlesung von „Die Kinder der Toten“; hier starten geführte Touren zu den Schauplätzen des Romans und befeuert das „Cinema 666“ sein Publikum.
Apropos Publikum, bevor ich vergesse es zu erwähnen, ich war beim Casting und habe eine Rolle als „Syrer“ bekommen. Wow, ich werde ein Filmstar … sicher nicht der späte Beginn einer Hollywood-Karriere, aber man darf gespannt sein!
Die renommierte Geigerin, Orchesterleiterin und Konzertmeisterin der Chicago Sinfonietta Renée Baker dirigiert das Styrian Improvisers Orchestra (STIO) zum Stummfilm A Page of Madness (1926, Teinosuke Kinugasa, japanischer Horrorfilm).
Renée Baker ist zur Zeit auch die Dirigentin des Aufsehen erregenden Chicago Modern Orchestra Project und seit langem Mitglied des weltbekannten Musikerkollektivs AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians). Dabei spielte sie unter anderem mit Nicole Mitchell und George Lewis, im Great Black Music Ensemble und in Anthony Braxtons Creative Music Orchestra.
Das Styrian Improvisers Orchestra besteht bei variabler Besetzung aus 15 bis 25 Musikerinnen und Musikern der Grazer und Wiener Improvisationsszene. Unter den verschiedenen Dirigaten oszilliert das STIO zwischen Freiheit und Struktur, wobei sich virtuose Improvisationen und fragile Klanglandschaften abwechseln.
Do, 30. März 2017, 20:00 Uhr / STOCKWERK / Graz / Austria RENÉE BAKER & STYRIAN IMPROVISORS ORCHESTRA A Page of Madness
V:NM | Styrian Improvisers Orchestra | Josef Klammer
Dieses Jahr wurde es mir bewusst. Unsere Generation ist vom Aussterben bedroht, denn mehr und mehr Babyboomer lösen die Verbindung zum Mutterschiff Erde. Der biologische Zerfall ist angelaufen, unsere Wurzeln finden keinen nahrhaften Halt mehr im Boden. Meine Zeitgenossen wandern einer nach dem anderen ab ins Nirwana, oder wohin auch immer, wobei Himmel, Fegefeuer und Hölle schon grundsätzlich ausgeschlossen sind.
Im Jahr 2016 verstarben musikalische Legenden wie David Bowie, Leonard Cohen, Prince oder George Michael. Mit den Songs der ersteren konnte ich mich identifizieren, letztere waren gar nicht mein Geschmack. Aber die wahre Erkenntnis unserer Sterblichkeit liegt in der Tatsache, dass bereits zwei Drittel von ELP tot sind, wie auch Thomas Huber, einer meiner besten Freunde aus der Jugendzeit.
Durch die Wüste (1980), Rannach (2012) und Kohfidisch Open Air (1977)
In Graz bin ich mit Emerson, Lake & Palmer herangewachsen, die ich 1973 auf meinem allerersten großen Rockkonzert live gesehen hatte. Welcome back my friends, to the show that never ends hat sich in mein Hirn eingebrannt, wie religiösen Menschen die Möglichkeit von unbefleckter Empfängnis. Speziell bei den Zeugen Jehovas, deren Besuche ich damals freudig zuließ, weil ich das nichtsahnende Paar in angeregter Diskussion immer wieder vom „rechten Weg“ abbringen wollte. Das gelang mir zwar nie, war aber eine ausgezeichnete Vorbereitung in Kommunikation und Rhetorik auf das spätere Studium.
Aber zurück zu ELP, dem Anlass zu dieser Betrachtung. Nach dem Konzert haben mir die Ohren vom quadrophonen Klangerlebnis so geglüht, dass ich mir sofort das gleichlautende dreifach-Album gekauft habe und die drei Briten zu meinen Lieblings Progrockern machte. Derart sozialisiert – soweit ich das beeinflussen wollte oder konnte – habe ich auf unzähligen Openairfestivals in den späten 70er und frühen 80er Jahren guten Rock und freie Liebe gesucht und meine gelb-braun-gestreiften Hosen bekamen vor vier Jahrzehnten dementsprechend oft grüne Flecken auf uneinsichtigen Wiesenstücken.
Heuer ging die Show für ELP doch zu Ende. Keith Emerson starb am 11. März 2016 in seinem Haus in Santa Monica, Greg Lake starb am 7. Dezember 2016 an Krebs. Carl Palmer, Jahrgang 1950, geht es gut. Schlagzeuger leben gesünder.
“A bullet had found him
His blood ran as he cried
No money could save him
So he laid down and he died”
Vor rund 30 Jahren war Horst Gerhard Haberl dafür verantwortlich, dass ich als sein Student die Prinzipien von Werbung und PR verstand. In seiner Vorlesung an der Uni war mir nie fad, aber was dem Vater von Franz (HUMANIC) nun als Logo für 50 Jahre steirischer herbst eingefallen ist, kann ich nur schwer nachvollziehen. War der Poststempel der letzten Jahre schon fad geworden, sind mir derlei Zahlenraster aus diversen Kalender Apps viel zu geläufig um einzigartig und unverwechselbar zu sein.
Typografisch ist die Helvetica, vom Grafiker Max Miedinger auf der graphique 57 für den Handsatz veröffentlicht, im Jahr 2017, nach 60 Lebensjahren als Hausschrift vieler Firmen allgegenwärtig, ebenso fad geworden. OK, ich gebe zu, dass viele Schriften schneller altern, die American Typewriter aus dem Jahr 1974 zum Beispiel, die ich Anfang der 80er noch im Kalenderteil unserer Jahrbücher einsetzte, ist längst verschwunden. Vielleicht weil sich heute keiner mehr an mechanische Schreibmaschinen erinnert? Nur, wozu lange über ein Logo reden.
Es geht ja schließlich um den Inhalt der Werbebotschaft. Und warum sollte sich ein Avantgarde Festival in seiner visuellen Kommunikation immer wieder neu erfinden müssen? Weil Avantgarde seiner Zeit voraus sein sollte, wäre eine der möglichen Antworten, ist aber nicht die einzige. Genug.
Die Kinder der Toten
Es geht ja auch rückwärts mit viel Freude voraus. Nehmen wir das herbst-Freunden von den Life and Times Episoden gut bekannte Nature Theater of Oklahoma und mixen wir es mit Elfriede Jelineks Roman Die Kinder der Toten, der 1995 bei Rowohlt erschienen ist und 1996 mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichnet wurde, was seinerzeit in Australien völlig an mir vorüber gegangen war.
Kelly Copper & Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma
Der Roman ist neben dem Internetroman Neid Jelineks umfangreichstes Werk und ist berüchtigt für seine Figurenvielfalt, seine verschlungenen Handlungsstränge und seine ironisch-zeitkritischen Querverweise. Gattungsspezifisch ist er dem postmodernen Roman und der Schauerliteratur zuzurechnen. Jelinek selbst bezeichnet ihn als einen „Gespensterroman in der Tradition der gothic novel“, kann man erfahren.
Untote und der Holocaust formen also die Asche, aus der Avantgarde entstehen soll und für dessen Besetzung 666 lebende Menschen gesucht werden. Im steirischen herbst HQ hat das Casting schon begonnen und auch ich habe mich selbstlos angemeldet, am Film- und Performance-Projekt in Neuberg an der Mürz mit Kelly und Pavol (leider ohne Kristin Worrall) mitzuwirken. Eine kleine Rolle hoffe ich zu bekommen, denn mit meinem Parkinson spiele ich einen Zombie bestimmt sehr überzeugend!
Vom 23. September bis 16. Oktober 2016 krempelt sich der steirische herbst die Ärmel hoch:“ Wir schaffen das.” Die diesjährige Eröffnungsproduktion entführt in die Traumwelten des französischen Theaterzauberers Philippe Quesne. Für den steirischen herbst gräbt er sich unter die Erdoberfläche und stößt dort auf eine skurrile Gesellschaft.
steirischer herbst festival gmbh
Sackstraße 17
8010 Graz Austria
t +43 316 823 007
f +43 316 823 007 77 info@steirischerherbst.at
Wir schaffen das.
Über die Verschiebung kultureller Kartografien.
Das diesjährige Motto könnte sich sogar auf mein neues Buch beziehen, habe ich doch mit meiner Geografie der Liebe immer schon kulturelle Grenzen verschoben. Wen das plakative “Wir schaffen das” hierzulande wozu motivieren soll, werden wir am 23. September auch nicht herausfinden. Behauptet hat es Angela Merkel, wobei Ähnlichkeiten mit Slogans von Bob the Builder und Barack Obama rein zufällig sind, wie ich annehme.
Heuer wird das Kulturangebot des steirischen herbst für jedermann erschwinglich mit den neuen herbst-Blocks: bis zu 56% des Ticketpreises sparen, herbst-Blocks (ab € 70 für den ermäßigten 6er) ab sofort online kaufen und einlösen. Das gesamte Programm gibt es auf www.steirischerherbst.at zu sehen. Wir werden von der Eröffnung berichten, Fotos vom musikprotokoll posten und hier mit einem Rückblick abschließen.
Buchungshotline +43 (0)1 96 0 96 (zum Ortstarif)
Öffnungszeiten: Mo – So: 09:00 – 21:00 Uhr
Sommeröffnungszeiten Juli & August: Mo – So: 09:00 – 20:00 Uhr
Stattegg-Ursprung, am 30. Juli 2016
Eröffnung
Über die herbst-Eröffnung kann ich nichts berichten, da ich zu dem Zeitpunkt in Portland, Oregon (USA) eine Präsentation meines virtuellen Selbsthilfe-Modells am 4th World Parkinson Congress machte und erst am 26.9. wieder in Graz landete. Es sei gut gelaufen, höre ich, beim Fest in der Helmut List Halle tummelten sich wie immer viele Leute. Das herbstliche Gesichtsbad ist für heimische Kulturschaffende schließlich ein Pflichttermin.
Apichatpong Weerasethakul (TH)
Cemetery of Splendour / Fever Room
Mittwoch tauche ich ein: Der steirische herbst zeigt den neuen Film des thailändischen Regisseurs Apichatpong “Joe” Weerasethakul, ein sanftes Meisterwerk von traumwandlerischer Magie, das ganz hervorragend zu meinem Jetlag passt. Ich frage mich nur, welche Absicht dahinter stand, nach der Filmvorführung zwei selbstgefällige (weil eine Beteiligung aus dem Publikum ignorierende) vormalige Standard-Köpfe, nämlich Alexander Horwath (Österreichisches Filmmuseum) und Claus Philipp (Wiener Stadtkino) auf die Bühne zu setzen, und als Experten die “aus dem Kino kommen”, über einen Regisseur zu reden, der weit genug weg ist, um sich der Peinlichkeit nicht auszusetzen, wie marktschreierisch die beiden ihr 2009 erschienenes mittlerweile vergriffenes Buch über “Joe” oder gar “Joey” nun als PDF (!) auf einer DVD (!) bewerben. Und um den TALK nicht gänzlich zum Marketing-Spin absinken zu lassen, projiziert man den Film in sehr kleinem Rahmen (Orpheum Extra), so dass die Karten innerhalb der herbst-Fangemeinde schon ausverkauft waren, lange bevor die Show über die Bühne ging und das gemeine Volk überhaupt eine Chance hatte, sich etwas anzuschauen. Man fragt sich, ob der steirische herbst nun ein elitäres Programmkino geworden sei. Doch dafür war der Raum zu kalt und das Sitzen zu unbequem, auch wenn die Intendantin in der Pause auf lauwarme Drinks einlud.
Zwei Tage später, Freitag: Fever Room. Vor dem Orpheum sind kaum Leute, ich sehe Gerhard Melzer und wir wundern uns über die wenigen Besucher des “ausverkauften” Zwillingswerkes von Apichatpong Weerasethakul. Drinnen sind wir gezwungen, am nackten Boden zu sitzen. In Südost-Asien ist das wohl so üblich, hier bezweckte die Unbequemlichkeit vermutlich, nicht aus Langeweile einzuschlafen. Einmal, und noch einmal werden uns Orte und Gegenstände aufgezählt, bezeichnet, aus der Erinnerung an Träume. Jen und Itt, die schlafenden “Hauptdarsteller” in beiden Filmen teilen sich ihre Träume. Der Mekong Fluss, eine Höhle, und – als Sohn zweier Ärzte – immer wieder Szenen aus dem Krankenhaus. Nun statt auf einem auf vier Screens, fast bis zum Stillstand verlangsamt. Auch hier Schlafattacken. Der thailändische Heimatfilm ohne Handlung ist durch die Vervielfachung nicht weniger langatmig, trotz teils schöner visueller Eindrücke, die sowohl den politischen Aspekt in einem unter der Militärdiktatur zerfallenden Land einbeziehen, als auch die Umweltverschmutzung. Aber im Westen sitzt man auf Stühlen und glaubt nicht an Geister, auch wenn sie sich im zweiten Teil der “Installation” mit Laserlicht und Weihrauch dem Publikum präsentierten. Keine Warnung, dass man mit ungeschützten Augen nicht in den Laser schauen dürfe, und so erwachte ich heute mit brennenden Augen, weil das weiße Licht uns immer und immer wieder viel zu lange direkt in die Pupillen strahlte.
Der 46-jährige Apichatpong Weerasethakul aus Bangkok, der 2010 als erster thailändischer Filmemacher die Goldene Palme der Internationalen Filmfestspiele von Cannes erhielt, sagt in einem französischen Interview, dass er es mag, wenn das Publikum “im Dunkeln sitzt wie Zombies”. Er will, dass wir uns unterordnen. Ich vermute, dass Europäer diese filmische Auseinandersetzung mit Thailands Geistern bestenfalls als “interessant” bezeichnen, obwohl Matthias Dell im SPIEGEL ONLINE begeistert scheint. Aber wenn es uns hier interessiert, wäre es in einem Südost-Asien Schwerpunkt im KIZ Programmkino besser aufgehoben, ohne dass sich das Publikum als “Oberfläche, auf die ein Licht projiziert wird” unterordnen muss.
Wenn auch schon etwas gerundet (wie viele in unserem Alter) so ist Blixa Bargeld auch im schwarzen Anzug immer noch ein bunter Vogel. Er kann sogar kreischen wie ein Sulphur-crested cockatoo. Das muss er mit Nick Cave im australischen Outback gelernt haben. Wie auch immer, der Mann, der die Einstürzenden Neubauten oder Nick Cave and The Bad Seeds in seiner Biografie hat, ist auch (fast) solo eine imposante Erscheinung. Ich habe zwar ein oder zwei Alben der Neubauten am Mobiltelefon und höre ab und zu auf YouTube auch neuere Sachen, hatte das Material dieser One-Man-Show aber nicht gekannt. Daher war ich umso mehr beeindruckt, was man mit einer Stimme, zwei Loop-Recordern und einem guten Tontechniker an schrägen Klängen und mitreissenden Rhythmen live auf der Bühne zusammenbasteln kann. Kreative Ideen vorausgesetzt, wie z.B. das Sonnensystem akustisch nachzubauen, dabei das Publikum in eine unendliche Tonschleife einzubauen (und über Unendlichkeit zu philosophieren) oder spontan aus dem Publikum zugeworfene Worte – wir einigten uns nach einiger Diskussion auf Kommod und Schiach – in einem Duell zu verarbeiten. Das waren knappe eineinhalb Stunden bester Unterhaltungsqualität, die es wert waren darauf zu warten. Die beiden vorangegangenen Klangkünstler habe ich größtenteils mit einer jungen Dame in einem Seitenstollen des Schlossbergs vertratscht. Und ich erreichte laufend (und keuchend) auch gerade noch die vorletzte Straßenbahn nach Andritz.
ORF Radio-Symphonieorchester Wien & Klangforum Wien
Größe macht doch was aus
Unter der Leitung von Johannes Kalitzke war eine Urauffführung der besonderen Art in Graz zu erleben. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien vereinte sich mit dem Klangforum Wien zu einem fast 100-köpfig anmutenden Klangkörper für die Werke der türkischen Komponistin Zeynep Gedizlioglu (im Bild rechts unten) und des Slowenen Vito Zuraj. Zeitgenössische/neue Musik gehört nicht zu meiner täglichen Beschallung, aber hin und wieder kann sie auch mich durchaus entzücken. Ungewöhnliche Besetzungen wie in einer Komposition für drei Mundstücke (links oben) bis zum unisonen Klang aller nur denkbaren Instrumente in oft nicht vorgesehenem Einsatz ebendieser gehört zu den seltenen “ganzkörperlichen” Hörerlebnissen, die einen von FM4 zu Ö1 wechseln lassen. Noch besser war es allerdings, dieses “Concerto Grosso” live zu erfahren.
Der dritte Tag musikprotokoll fiel für mich verständlicherweise aus, da ich an jenem Abend eine eigene Lesung/Buchpräsentation/Talk aus meinem neuen Buch Geografie der Liebe im passenden Ambiente des KunstGartens hatte. Volles Haus, gute Stimmung, aber die Journalisten waren wohl alle beim steirischen herbst.
Der steirische herbst 2016, der dem Leitmotiv “Wir schaffen das. Über die Verschiebung kultureller Kartografien” folgte, ist zu Ende. Die Intendantin zog wiederum Bilanz, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass der Dampf raus war. Kann man sich wirklich 50 Jahre lang der Avantgarde widmen und sich immer wieder neu erfinden? OK, ich habe heuer den Anfang wegen einer Terminkollision mit einem Kongress in Portland und das Ende wegen eines Festivals in Leibnitz nicht gesehen, aber dazwischen war nicht wirklich viel, wie mir schien, und nichts das mich vom Stockerl gehaut hätte wie so manches in den Jahren zuvor. Ja haben siees denn geschafft? Was wollten sie überhaupt schaffen? Wer wollte es schaffen? Wir als Menschheit, Europäer, Österreicher, Kulturschaffende, Künstler, oder nur als Publikum?
Daraufhin habe ich mich auf der Straße umgehört und das Ergebnis meiner improvisierten Umfrage hat selbst mich überrascht. Obwohl der steirische herbst bald 50 wird gibt es Grazer, die noch nie vom steirischen herbst gehört hatten, bzw. dachten, dass es sich dabei um die Jahreszeit Herbst in der Steiermark handle. Dann gab es jene, die zwar davon gehört hatten aber nicht wussten, dass er gerade über die Bühne ging, geschweige denn, was das heurige Leitmotiv meinte. Den Poststempel habe man zwar auf Bussen und in Schaufenstern gesehen, aber da er seit Jahren gleich aussieht, nicht beachtet. In der Firma steirischer herbst festival gmbh sollten schon die Warnlampen aufleuchten.
Die vorläufige Bilanz: An 24 Festivaltagen gab es 130 Projekte und 465 Einzelveranstaltungen. Mehr als 50.000 Besucherinnen und Besucher (diese Zahl stagniert seit Jahren) zählte das Festival, nicht zugerechnet seien dabei die Projekte, die im öffentlichen und medialen Raum stattgefunden haben. Man freute sich zwar auch über die Auslastung von über 90% bei den szenischen Produktionen und Konzerten, aber im Vorjahr waren es noch 95%. Etwa 900 Beteiligte aus insgesamt 56 Nationen waren involviert.
Flüsse sind die Lebensadern der Kulturen. Sie verbinden ganze Kontinente und an ihren Ufern hat immer schon der Austausch zwischen Menschen und Völkern stattgefunden. Auch heute noch. Das Grazer MURTON FESTIVAL erkundet diese multikulturellen Begegnungsräume entlang des Flusses, entdeckt und belebt die heißen Sommernächte mit Programmen, die quer durch die Ethnien, ihre Musik und ihre Kulturen führen.
(MURTON GRAZ 2012 Programmheft)
Die Welt am Fluss
Das erstmalig über die neue Freiluftbühne am Mariahilferplatz gehende MURTON Festival for contemporary music styles and culture lässt sowohl verwöhnte Grazer Musikliebhaber als auch Gäste der Stadt ganz schön aufhorchen.
Es heißt, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Beim neuen Murton Festival gestatte ich mir dieses Lob jedoch schon nach der ersten besuchten Vorstellung. Da kann nichts mehr schief gehen, außer vielleicht, dass uns der Himmel auf den Kopf fällt. Aber auch in dieser Hinsicht kann Petrus nichts anstellen, denn die neue überdachte Bühne am Mariahilferplatz trotzt jedem Regenguss.
Warum sage ich das? Der für das täglich (bei freiem Eintritt!) präsentierte Hauptprogramm gewählte Platz hat sowohl jahrelange Tradition als auch ein wunderschönes Ambiente. Kopfsteinpflaster, alte Herrenhäuser, moderne Architektur, gute Infrastruktur und ist an ganz Graz sowohl über das Radwegenetz als auch die Tram gut angebunden. Die neue Bühne ist schön, hat eine hervorragende Akustik und bietet 300 sitzenden Zuhörern Platz, sowie noch weit mehr Zaungästen. Und wie eingangs erwähnt, bietet sie auch ein Dach zum Schutz gegen eventuelle Naturgewalten. Sie muss die Stadt Graz wohl Unmengen gekostet haben, wird aber sicher einer Reihe von Veranstaltungen jahrein jahraus gute Dienste leisten. Weitere Venues wie die Postgarage, GMD und das PPC ergänzen mit Nachtvorstellungen.
Vom Programm her ist ebenso ein Hörgenuss garantiert. Mein erster Abend, ein Montag. Ed Partyka, nuBox & Concept Art Orchestra (USA/Deutschland/Tschechien/Slowakei) hat mich schlichtweg umgeblasen. Die solistischen Leistungen aller Musiker waren großartig, Ed Partyka hatte keine Mühen, sich durch hunderte einzelne Seiten Partitur hindurch zu blättern und dabei zu dirigieren, und die synthetischen Einspielungen zu den „6 Movements of Sonification“ gaben dem begeisternden Orchester noch den letzten Touch. „Bigbandtronics“, ein neuer Begriff für meine Ohren. Jazz vom Feinsten.
Heute führt uns Vesna Petkovic auf den Balkan mit Gypsy Brass aus Rumänien. Nicht entgehen lassen.
Überhaupt ist das Programm sehr international, nicht immer Weltmusik im ursprünglichen Sinn, aber Musik aus aller Welt, was am Mittwoch noch in einer sogenannten „Welttafel“ münden soll, wo eine kulinarische Weltreise in 8 Gängen bevorsteht. Inklusive Tischmusik. Ich bin schon gespannt.
Abgerundet wird das Programm nach der „langen Nacht am Fluss“ noch durch einen Happen Literatur am letzten Tag, „a little alien“ im Kulturzentrum Minoriten. Der „Versuch des Ankommens in Worten“ zu Mittag geht abends in die „Spoken Poetry – Die Welt im (Rede-)Fluss“ über. Natalie Resch hat diesen Programmpunkt gestaltet, so wie zuvor schon jeder Tag von einem Kurator präsentiert wurde.
Vielleicht treffe ich irgendwo Hansjürgen Schmölzer, der im Dramaturgie und Presse Projektteam des Festivals mitarbeitet. Vor 30 Jahren haben wir gemeinsam an der Uni Graz studiert. Auch wenn sich an der Mur die Welt trifft, Graz bleibt doch ein Dorf. Wenn auch ein sehr kultiviertes und freundliches Dorf.
Das Festival läuft noch bis zum 19. August 2012. Das Programm gibt es auf www.murton.at zu sehen.