Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.
Bei seiner Zigarette danach stehe ich mit Gregor Seberg unter dem Dach vor dem Bühneneingang des Kulturhauses Gratkorn. Ich gestehe dem Ex-TV-Kieberer, dass ich ein Fan bin, der (fast) alle Folgen der Krimireihe SOKO Donau gesehen hat. Das freut ihn, denn er sieht sich in erster Linie als Schauspieler, Stand-up Comedian sei er nur am Rande. Das Rauchen hat er vor sieben Jahren aufgegeben, sagt er.
Das Gratkorner Publikum liebt es, wenn er die Gratweiner jenseits der Mur auf die Schaufel nimmt, den (roten) Bürgermeister in der ersten Reihe anbaggert und auch seine Heimatstadt Graz nicht verschont. Aufgewachsen bei seiner Oma in der Triestersiedlung, „zwischen Zentralfriedhof und Strafanstalt Karlau“ , kann er auf reichhaltiges Material für sein Best Of Programm zurückgreifen.
Es ist ein Heimspiel, nicht nur beim Fußball
Aus seiner „Schatzkiste“ knüpft er sowas wie einen roten Faden zwischen Maggi (Geschmacksverstärker), einem Baby Schnuller (in Schnaps getaucht) und der richtigenTemperatur vom Flascherl. Vater für einen Tag mit Null Ahnung, holt sich Hilfe beim Publikum. Das garantiert Lachen ohne Ende auf einer Bühne, um die ich die Marktgemeinde Gratkorn beneide.
Good News: In der nächsten Staffel der SOKO Donau wird Gregor (diesen Namen findet er uncool, wäre damit eines Papstes würdig) wieder auf TV-Schirmen ermitteln. Darauf freue ich mich.
Heute Abend spielen die Slowenen ein Konzert im Orpheum, das erste in Österreich nach ihrem Beitrag zum steirischen herbst 2018. Ich bin nach all den Jahren gespannt auf die OPUS DEI (1987) TOUR (2024) und werde berichten.
Wir schrieben das Jahr 1988 und im Museumsquartier gastierte eine Band, die zu den Wiener Festwochen als Vertreter des Künstlerkollektivs „Neue Slowenische Kunst“ eingeladen wurden. Ich war natürlich dabei und machte im einfarbig schwarz gekleideten Publikum die Bekanntschaft einer Tonkünstlerin, die sich „Maria Zerfall“ nannte. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf der Bühne brannten Feuerschalen und junge Männer trommelten militant anmutend bam-bam-bam, badam-badam den Opus Ohrwurm „Life is live“, der allein schon durch die tiefe kehlige Stimme von Bandleader Milan Fras (*1960, Trbovlje, Slowenien) eine völlig andere Dimension erhielt.
Im Gespräch mit Ivan Novak und einem jungen slowenischen Fan im Orpheum, Graz
Heute hat sich der Fokus des neu belebten Albums verschoben, aber nichts von seinen brachialen Botschaften verloren: „You cannot win this war“ (F.I.A.T.) oder „We shall never surrender“ (The Great Seal) ist im Kontext der aktuellen Kriegsschauplätze doch politisch relevant. Nach der Show stellte mich der Tour Manager dem Band-Mitbegründer Ivan Novak vor. Die anderen waren schon im Hotel. Ivan ist, so wie ich Jahrgang 1958, im damaligen Jugoslawien geboren. Er spielt die politische Bedeutung von Laibach herab, gibt aber zu, dass man sie in der Ukraine nicht hat spielen lassen.
Dabei waren missverständliche Nazi-Referenzen einer opulenten Video- und Lichtshow gewichen, slowenische Textstellen übersetzt und Milan trug einen schicken Anzug, mit dem er auf jedem Board-Meeting passsend gekleidet erschienen wäre. Allein mit der an die Fremdenlegion erinnernde Kopf- und Halsbedeckung blieb er dem NSK-Corporate Design immerhIn schon rund 40 Jahre lang treu.
In diesem Herbst hatte ich keine Zeit, um mir auch nur irgend etwas im steirischen herbst anzuschauen, da ich jegliche Kraftreserven für mein zweites Village Jazz Festival brauchte. Daher überlasse ich die übliche statistische Zusammenfassung dem Pressebüro und die Eröffnungsrede der Intendantin.
Grafik: Grupa Ee
Bei Humans and Demons geht es nicht um „Gut und Böse“. Nein, Humans and Demons bedeutet eher „Status quo und Böse“.
Wir wissen, was schrecklich ist, aber oft nicht, was gut ist – soll es gut sein für den Planeten im nächsten Jahrhundert oder gut für den Urlaub unserer Kinder heute? Gut für den gerechten Sieg über den Aggressor oder für den sofortigen Friedensvertrag mit dem Aggressor? Für die offene Ablehnung der Diktatur oder für die Sicherheit unserer Familie, die noch unter dieser Diktatur lebt?
Diese schwierigen Entscheidungen können nicht warten, müssen inmitten des Kriegs, der Krise oder zunehmender politischer Repression getroffen werden. Es scheint, das „Böse“ ist heute universell, türmt sich von allen Seiten auf, während das „Gute“ relativ ist, in die Privatsphäre verschoben wurde, wo es auf einer sehr persönlichen Idee von dem basiert, was – unter den gegebenen Umständen – richtig ist.
Viele Entscheidungen werden vom Überlebensinstinkt diktiert werden, und sie könnten uns in Grauzonen bannen – Zonen des Kompromisses, der Kollaboration, des Verrats, des Pakts mit der Macht oder mit dem Teufel höchstpersönlich (so wie der eines unserer heurigen Charaktere: Dr. Jazz, ein Fan, Sammler und Unterstützer schwarzer Jazzmusik und gleichzeitig ein geflissentlicher Nazi-Offizier).
Primo Levi verstand etwas über Grauzonen, als er im KZ war, wo die Kapos und Sonderkommandos zwischen den Herren und den Häftlingen standen. Er wusste es zu vermeiden, sie zu verurteilen, aber nicht, über dieses Phänomen nachzudenken. Und er verstand, dass die Lektionen des KZs die Menschheit nach ihrer Schließung weiterhin begleiten.
„Auf diese Weise wurde innerhalb der Lager“, schreibt Levi, „die hierarchische Struktur des totalitären Staates, in dem alle Macht von oben her verliehen wird und eine Kontrolle von unten her nahezu ausgeschlossen ist, in kleinerem Maßstab, aber mit vergrößerten Merkmalen reproduziert.“
Und falls wir glauben, dass der totalitäre Staat uns nicht betrifft, fährt er fort:
„Der Aufstieg der Privilegierten ist nicht nur in den Konzentrationslagern, sondern in allen menschlichen Lebensverbänden ein beängstigendes, aber unabänderliches Phänomen: sie fehlen nur in den Utopien … Wo es eine von wenigen oder von einem einzelnen ausgeübte Macht über viele gibt, entsteht und vermehrt sich das Privileg, auch gegen den Willen der Macht selbst; aber es ist normal, daß die Macht es toleriert oder fördert.“
So beunruhigend es klingen mag, wenn wir unsere freien Gesellschaften verstehen wollen, ist es Zeit, auf Leute zu hören, die in Lagern und Diktaturen gelebt haben, die Stimmen derer zu hören, die es noch immer tun, derjenigen, die weiterhin in Russland, Belarus, Iran, Afghanistan oder gar Nordkorea leben – wir können uns nicht sicher sein, dass es dort keine unterdrückten Stimmen gibt, Stimmen, die sehr bald verstummen könnten.
Und wir müssen diejenigen wieder lesen, die vor uns mit dieser Erfahrung in ihren Knochen geschrieben haben. Es war nicht immer alles dunkel und tragisch, das Überleben kann genauso amüsant wie abenteuerlich sein.
In seinem Buch vom Lachen und Vergessen, dem ersten, das er im Westen, im Anschluss an seine Flucht aus der Tschechoslowakei nach dem sowjetischen Einmarsch, geschrieben hat, beschreibt der Romancier Milan Kundera das Leben als Koexistenz „engelhafter“ und „dämonischer“ Elemente. Er spricht von verschiedenen Arten des Lachens – Engel und Dämonen lachen unterschiedlich und über unterschiedliche Dinge. Engel und Dämonen sind für ihn nicht Gut und Böse – der Unterschied ist der, dass Engel sich sicher sind, dass die beste aller möglichen Welten einen Sinn hat, während Dämonen dies als absurd erscheint. Sie sehen keinen rationalen Sinn in irgendetwas und haben auch kein Bedürfnis, einen zu suchen.
In seiner Studie Das Böse liest der britische Literaturwissenschafter Terry Eagleton Kunderas Gegensatz politisch: Das „Engelhafte“ meint die Art, wie Politiker in ihrer klischeehaften Rhetorik über das Gemeinwohl, Patriotismus, Familie, Werte sprechen. Das „Dämonische“ meint die zynische Art, wie Politiker denken oder einander zuflüstern: Business as usual; wirtschaftliche Interessen; Realpolitik befreit von moralischen Fragen; lass uns einfach reich werden, man kann eh nichts ändern.
Wenn ich Eagletons Gedanken folge, würde ich vielleicht sagen, dass für Kundera, der gerade den Ostblock verlassen hatte, das „Engelhafte“ die leere bürokratische kommunistische Propaganda war, die er sehr gut kannte, und das „Dämonische“ – die leblose Maschine des gierigen Kapitalismus, der er gerade im Exil begegnete.
Kundera schreibt, dass beide Seiten in unserem Leben vorhanden sein sollten, um das Gleichgewicht zu halten. Aber er tut dies, weil er als Schriftsteller, als Intellektueller nach einem Ort suchte, der er ihm die Freiheit geben konnte, sich mit nichts zu identifizieren. Er wollte sich zwischen diesen beiden, dem „Engelhaften“ und dem „Dämonischen“, verstecken. Und es gelang ihm.
Heutzutage haben der ehemalige Osten und der ehemalige Westen allerdings bereits das Schlimmste voneinander gelernt. Der Westen fühlt sich breschnewistisch an mit seiner Bürokratie und seinen „Bullshit Jobs“. Der Osten ist so wirtschaftlich grausam und inhuman, wie er den kapitalistischen Westen früher dargestellt hat. Auch in der Kunst und Kultur haben die beiden die Rollen getauscht. Die zeitgenössische Kultur der „freien Welt“ verkündet gelegentlich, dem „engelhaften“ Weg folgend, nichtssagende progressive Klischees. In Diktaturen wie dem heutigen Russland erfreut sich die Kunst hingegen oft nur des Pragmatischen und Entpolitisierten – des „Dämonischen“, nach Kundera und Eagleton. In beiden Fällen passt sich die Kultur an, unterstützt diejenigen, die die Regeln festlegen, und wechselt auf ihre Seite.
Ich würde Sie jetzt bitten, sich umzudrehen und sich eine Person, die bislang auch zugehört hat, genau anzuschauen. Es ist der Krieger vom 27. Infanterieregiment, einer Habsburger Militäreinheit, die vom 17. Jahrhundert bis zum Jahr 1919 aktiv war und hier 1932 in einem Denkmal verewigt wurde, vom Grazer Bildhauer Wilhelm Gösser, berüchtigt als „Arno Breker Österreichs“. Der Stil der Statue lässt uns erschaudern, auch wenn das Böse der Massenvernichtung, deren Geist sie ist, noch bevorstand. Die von ihr verkündete Ordnung ist patriarchalisch und aggressiv. Von dieser scheinbar menschlichen Figur geht eine Entmenschlichung aus.
Im Kontext von Humans and Demons sollten wir diese Figur jedoch eher als komisch denn als furchterregend betrachten. Jahrzehntelang lebte der Bildhauer Wilhelm Gösser bequem in einer Grauzone und diente jedem, der an der Macht war, ohne sich selbst klar zu positionieren, was ihm den Ruf eines freien Künstlers einbrachte, der nie der Kollaboration bezichtigt wurde. Vor diesem Krypto-Nazisoldaten hatte er Peter Rosegger und Engelbert Dollfuß gebildhauert, im Anschluss – Hitler und Mussolini. Im Frühjahr 1945 meldete er sich freiwillig, um eine ganze Armee von Stalin-Büsten für den Bedarf der Sowjets herzustellen, nur um später mit Kriegsdenkmälern für österreichische Gefallene und Friedenssymbolen weiterzumachen. In den 1960ern und sogar bis in die 1990er wurde seine Kunst in der Steiermark als „kerngesund“ und „regenerativ“ gelobt. Dieses Lob verdankte er seiner „positiven“ Überlebenskraft, seinem Konformismus und seiner Anpassung, seiner Stärke im Gehorsam, im Gegensatz zu ungesundem Zweifel und Reflexion. „Furchtlos und treu“ lautet die Inschrift – Wilhelm Gösser aber war alles andere als das, er war feige und unstet, und ich kann nicht umhin, seine Figur genauso zu betrachten.
So wird der Soldat paradoxerweise menschlicher, zerbrechlicher. Er steht hier, pompös und stramm, aber halb vergessen und machtlos. Seine Bewegungslosigkeit erscheint wie eine Lähmung, und die einfache Tatsache, dass es sich um eine Skulptur handelt, wie Stummheit. Eines Tages könnte er jedoch aufwachen. Die Meister dieser fiktiven Krieger, Künstler wie Gösser, erheben bereits ihre Köpfe – und ihre Hände – in verschiedenen Teilen der Welt, wo die Aggression gegen den Nachbarn langsam zur Grundlage des Nationalstolzes wird.
Beim steirischen herbst haben wir immer die dissidente Stimme der Kunst unterstützt, die Stimme der Ungehorsamen, der Andersartigen, derjenigen, die wie Kundera mit ihren rätselhaft poetischen Geschichten sowohl der Falle der engelhaften Didaktik wie der der dämonischen Wurschtigkeit entkommen. Wenn wir glauben, dass es in unserer kleinen und sicheren freien Welt nicht mehr nötig ist, für solch eine Stimme der Kunst zu kämpfen, liegen wir falsch, oder könnten sehr bald falschliegen.
Aber jetzt ist es Zeit für die Stimme.
Rückblick steirischer herbst ’23 – Humans and Demons
Am Sonntag endet die 56. Ausgabe des steirischen herbst, die sechste unter der Leitung von Intendantin und Chefkuratorin Ekaterina Degot. In Ausstellungen, unterschiedlichen Performance-Formaten, Diskursveranstaltungen, Kabaretts und einer Clubreihe ließ Humans and Demons die Grenzen zwischen den Künsten sowie zwischen Populär- und Hochkultur hinter sich, um sich anhand von Figuren und ihren Geschichten mit moralischen Grauzonen in unserer heutigen Welt auseinanderzusetzen.
„Ich freue mich, dass wir mit der ersten Ausgabe meiner neuen Intendanzperiode dort weitermachen konnten, wo wir mit dem steirischen herbst ’22 aufgehört haben: mit einem Programm, das neue Geschichten über Graz erzählt und diese mit dem aktuellen Geschehen in der Welt verbindet. So haben wir es wieder geschafft, für das Grazer Publikum ebenso interessant zu sein wie für die internationale Presse. Ich bin mir sicher, dass unsere diesjährigen Auftragsarbeiten in Erinnerung bleiben werden – etwa die Eröffnung am Schloßberg mit der Performance von Lulu Obermayer, der hypnotische Animationsfilm von Dana Kavelina, die Audioinstallation von Anton Kats, die Filme von Meg Stuart oder die bewegende Performance in der Annenstraße von Mateja Bučar. Ich bin sehr zufrieden mit dieser Ausgabe und sehr stolz darauf, dass der freie Eintritt zu unseren Ausstellungen und ein umfangreiches Vermittlungsprogramm, das wir auch Partnerinstitutionen in der Stadt anbieten, dem Festival mehr Publikum beschert haben. Der steirische herbst hat 2023 wieder gezeigt, dass er ein reichhaltiges Festival mit vielen verschiedenen, faszinierenden Facetten ist. Das ist der Weg, den wir in die Zukunft gehen wollen.“
—Ekaterina Degot
Mehr als 530 Mitwirkende aus 32 Ländern ermöglichten mit rund 125 lokalen Initiativen und Partner:innen das heurige Festival. Unabhängig vom Aufenthaltsort konnten die meisten vom steirischen herbst in Auftrag gegebenen Videoarbeiten auch online angeschaut werden, dazu gab es Livestreams vieler Diskussions-veranstaltungen. Auch der Ö1 Festivalpodcasttrug den steirischen herbst über Graz und die Steiermark hinaus. Jede Sendung dieser Kooperation mit Ö1 erreichte heuer wieder weit über 100.000 Hörer:innen.
„Kaffee mit Johnny Cash“ verlegt bei keiper, Graz 2022, ist „eine faszinierende Zeitreise durch fünf Jahrzehnte voller Musik und aufregender Medienwelt“, so der Untertitel der über 300 Seiten starken Autobiografie von Vojo Radkovic, stadtbekannt in der Grazer Musikszene als VOJO.
Wenn ein Musikveranstalter seine Memoiren schreibt, liefert das garantiert spannendes Material für viele Rock und Jazzfans. Wenn die Geschichte des Lesers, also meine, auch noch eng in seine Geschichte eingeflochten ist, macht mich das zu einem Teil dieser Chronik, wenn auch mit langen Unterbrechungen, als ich im Ausland lebte. Vojo ist zehn Jahre älter als ich, er war also bereits ein junger Reporter bei der Neuen Zeit, als ich, fünfzehn Jahre jung, begann meine ersten Schallplatten zu sammeln und am Musik Gewinnspiel der NZ teilzunehmen. Vojo hatte in London alle Bands der „roaring sixties“ live erlebt, war deshalb zusammen mit dem Jugendmagazin Bravo meine beste Quelle. Ich sandte fleißig Teilnahmekarten in die Musikredaktion, weil es tolle Platten zu gewinnen gab. Eines Tages stellte der Briefträger tatsächlich eine flache quadratische Kartonhülle zu, die aber leider nur eine zerbrochene LP enthielt. Ich kann mich heute noch an den Titel erinnern, Jonathan Livingston Seagull, mit Filmmusik von Neil Diamond. So kam es, dass ich Vojo persönlich kennenlernte, als ich den Bruch der Schallplatte reklamierte.
Wir schrieben das Jahr 1974, als die ersten internationalen Künstler in der Liebenauer Eishalle auftraten. Ich war gerade sechzehn und mein erstes großes Konzert mit „richtigen“ Rockstars und tonnenweise Technik, war Emerson, Lake & Palmer, die ihre Musik aus riesigen Lautsprechertürmen in Quadrophonie über die Zuhörer fluteten. Dieses Konzert war auch Vojos erster Auftritt als Veranstalter in Graz mit Unterstützung der NZ. Er war dabei recht großzügig in der Vergabe von Freikarten an seine jungen Freunde wie mich. So ging das wohl zehn Jahre lang, Mitte der Siebziger bis in die Achtziger holte er alles nach Graz, was in der Musikwelt Rang und Namen hatte. Ich hatte mittlerweile mein Studium beendet und war dank Vojo und einer seinerzeit sehr verdienstvollen Radiostation namens Ö3 und dem Rennbahn Express zu einem Kenner von zeitgenössischem Rock, Jazz und Underground geworden. „Welcome back my friends to the show that never ends“, diese Eröffnung des EL&P Konzerts hat sich in mein Hirn gebrannt, wie auch die Begegnung mit den Rockstars im Push ’n‘ Pull, dem späteren Ska.
Dann ging ich für ein paar Jahre nach Wien, wohnte in einer WG mit einem Musikjournalisten und schrieb Konzertberichte über Nick Cave und Genesis, die keiner drucken wollte. In Wien verlor ich Vojo aus den Augen, in 25 Jahren Sydney die österreichische Musikszene und wurde erst nach meiner Rückkehr aus Australien gewahr, dass Vojo Concerts in der Zwischenzeit hunderte, wenn nicht tausende Konzerte veranstaltet hatte, aber durch wirtschaftlich schwere Zeiten bald gezwungen wurde, die Veranstaltertätigkeit einzustellen. Zurück in Graz hatte ich den Kontakt zu Vojo wieder aufgenommen und über seine Konzerte berichtet. Aber Graz war von der Weltkarte des Rockzirkus verschwunden, die immer aufwendiger gewordenen Shows rechneten sich gerade noch in München oder Wien. Als letztes Open Air habe ich am Schlossberg auf der Kasemattenbühne The National gesehen, seither eine meiner Lieblingsbands. Das ist nun auch schon wieder gut zehn Jahre her.
Aber zurück zum Buch. Auch Johannes Silberschneider schweifte im Gespräch mit dem Autor bei der Buchpräsentation im Orpheum immer wieder ab und musste sanft erinnert werden, dass es nicht um sein Leben, sondern um Vojos Buch ging. Dabei war es schön zu beobachten, wie leidenschaftlich Silberschneider wurde. Er hatte, ähnlich wie ich, viele Berührungspunkte im Lebensweg mit Vojo. Persönliche Verbindungen, die über ein Leben hinweg bestehen bleiben. Zwei Drittel von EL&P sind tot, der noch lebende Schlagzeuger Carl Palmer dürfte sich nicht mehr erinnern, in Graz gespielt zu haben. Nun ja, es ist eben die Geschichte von Vojo Radkovic, er hat sie in verständlicher Sprache zu Papier gebracht und sie ist voll von diesen intimen Momenten, wie dem titelgebenden „Kaffee mit Johnny Cash“. Auch Boris Bukowski entbietet in seinem Buch Gags und Stories ähnliche Anekdoten, bloß war bei ihm Konstantin Wecker, der regelmäßig in Graz gastierte, schon der große Star, aber Gespräche mit Miles Davis, ein Essen mit Deep Purple oder die letzte Tournee von Frank Zappa vor seinem Tod war auf internationaler Skala nicht zu überbieten.
Heute arbeitet er trotz erreichen des Pensionsalters noch als Motor- und Musikjournalist für den GRAZER und tut mit der Charity „Let’s spend the night together“ alle Jahre Gutes. Wir begegnen uns respektvoll und freundschaftlich, nehmen und geben einander. Die Bekanntschaft mit diesem „großen“ Mann mit den (immer noch) langen Haaren hat meine Liebe zur Musik wie kein anderer geweckt, gefördert und geprägt. Die zahlreich im Orpheum anwesenden Zeitgenossen aus der Medien- und Musikbranche stimmten offenbar mit mir überein, denn die Schlange zum signieren des Buches reichte bis ins Foyer, was seine Verlegerin Anita Keiper sehr freute. Genug gesagt, schlagen wir das Buch endlich auf, erinnern uns an fünfzig Jahre Musikgeschichte und legen die dazugehörigen LPs aus Vojos Plattenbox auf den Plattenteller.
Johannes Silberschneider und Vojo Radkovic im Gespräch
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