Ekaterina Degot

Eröffnungsrede zum steirischen herbst ’18

Europaplatz Graz, 20.9.18

steirischer herbst
20.9.–14.10.18

Ekaterina Degot © steirischer herbst

Der Platz, auf dem wir uns heute versammeln, heißt Europaplatz. Manche von Ihnen wissen das vielleicht gar nicht, denn dies ist offenkundig und unverkennbar ein Bahnhofsplatz. Genau so hieß dieser Platz auch, bevor er 1972 voller Stolz zum Europaplatz aufgewertet wurde. 1972 war ein Jahr des Optimismus, denn in der Politik gab mit Willy Brandt, Olof Palme und Bruno Kreisky ein starkes sozialdemokratisches Trio den Ton an. 1972 war ein gutes Jahr für das europäische Projekt.

Tatsächlich gibt es viele Europaplätze in Europa, die seltsamerweise oft an Bahnhöfen liegen, als befinde sich Europa stets anderswo und immer mindestens eine Zugreise weit entfernt. Nicht anders ist es in Berlin und Wien. Europaplätze sind in der Regel Nicht-Orte. Man kann ihren Namen kaum behalten und sie nicht einmal als Plätze im Gedächtnis bewahren. Sie sind Übergangszonen, Rundkurse der Migration, Rennbahnen für Aufbrechende und Neuankömmlinge, Heimat der Vertriebenen und von sich selbst Entrückten, sowie der Heimwehkranken und der Obdachlosen.

Als ich eingeladen wurde, den steirischen herbst zu leiten, und im vergangenen Jahr in dieser Funktion erstmals nach Graz kam, war ich mir schon im allerersten Augenblick sicher, dass das Festival nirgendwo anders beginnen kann als hier – im öffentlichen Raum und in einem Teil der Stadt, der einstweilen noch nicht zu ihrer bevorzugten Lage gehört. Ich wollte, dass wir den Anfang in diesem Durchgangsraum machen, dass wir uns versammeln, wo Einheimische und Außenseiter, Österreicherinnen und Österreicher und Fremde durcheinanderströmen und allesamt einer Unbeständigkeit anheimfallen, die für so manche ein Dauerzustand ist.

Während diese Rede in den vergangenen Tagen allmählich in meinem Kopf Gestalt annahm, suchte ich nach einem Anfang jedoch lange Zeit vergeblich. Ich fragte mich, wen ich eigentlich ansprechen wollte. Sollte ich mich an die „lieben Besucherinnen und Besucher des Festivals“, an meine „lieben Freunde und Kolleginnen“ oder gar an die „geschätzten Pressevertreter, Sponsorinnen und Unterstützer“ wenden? Sollte ich außerdem noch – oder stattdessen – versuchen, die Aufmerksamkeit zufälliger Passanten auf diesem Bahnhofsvorplatz zu gewinnen? Dieser Vorbeieilenden, die uns auf dem täglichen Weg von oder zu ihrem harten Tagwerk mitsamt ihrem schweren Gepäck anrempeln?

Sie erraten es schon: Mir geht es um diese Passanten. Denn auch wir selbst gehören schon zu ihnen und sind nicht mehr nur „liebe Besucherinnen“ oder „werte Gäste“, sobald wir uns dem Umzug der großartigen, furchtlosen Künstlergruppe Bread & Puppet Theater anschließen. Wir werden der mitreißenden Gewalt der Kunst erliegen und dem Vertrauen in unser eigenes besseres Selbst nachgeben, dem sich diese Gruppe verpflichtet weiß. Wir können nicht die „lieben Zuschauer“ sein und in dieser passiven Rolle verharren. Wir werden selbst zu einem Teil des Kunstwerks und verleihen ihm mit unserem eigenen Körper Gestalt.

Passantinnen und Passanten also. Aber wie soll ich diese, Sie, uns alle ansprechen? Doch nicht mit „Meine Damen und Herren“, und auch nicht als „liebe Freunde und Kolleginnen“, denn noch während ich das murmele, sind sie alle längst auf und davon.

Es gibt eine überall anerkannte Form der Ansprache, die mir in dieser Situation angemessen erscheint: „Verzeihung, dürfte ich Sie etwas fragen?“ – „Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo die Straßenbahnhaltestelle ist?“ – „Verzeihung, interessieren Sie sich für zeitgenössische Kunst?“ – „Entschuldigung, sind Sie für Einwanderung oder dagegen?“ – „Gestatten Sie eine Frage: Horten Sie Nazi-Devotionalien in Ihrer Wohnung?“ – „Verzeihung, sind Sie einverstanden mit dem Spruch ‚Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!‘?“ – „Entschuldigung, sind Sie für Conchita oder für Gabalier?“

Solche Fragen werden wir Ihnen im Verlauf dieses Festivals stellen. Also verzeihen Sie mir bitte, falls und dass ich Sie anspreche. Bekanntlich soll man heute schriftlich um Erlaubnis fragen, bevor man jemanden anruft. In diesem Sinn bitte ich hiermit um Ihre Erlaubnis, mich direkt an Sie zu wenden: jetzt und in den kommenden Jahren, in der aktuellen und in künftigen Ausgaben des steirischen herbst. Wir wollen mit Ihnen reden über das, was für uns alle von Bedeutung ist. Wir wollen Sie – und das ist Teil des Spiels – in die prekäre Lage bringen, sich vielleicht von uns gestört zu fühlen.

Zugegeben: Es kann sehr lästig sein, wenn man von jemandem angesprochen wird. Ich bin die erste, die ihre Ruhe braucht und in Frieden gelassen werden will. Mir ist auch klar, dass Kunst stören und manchmal unerfreulich sein kann. Aber genau so soll Kunst eigentlich sein. Sie sollte unsere Überzeugungen erschüttern und eine andere Sicht auf die Dinge unterbreiten. Sie sollte zerstörend Neues schaffen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht sie dabei so weit, dass unser Leben hinterher nicht mehr dasselbe ist.

Hier setzt der neue steirische herbst an. Er nennt sich Volksfronten und handelt von den politischen Widersprüchen und Gegensätzen unserer Zeit. Wir alle sind Tag für Tag und in jedem Augenblick darin verstrickt. Die Widersprüche und Gegensätze sind gesellschaftlicher Art. Sie haben mit Ungleichheit und vorenthaltenen Lebenschancen zu tun. Sie brüten und nähren die Würmer des Faschismus. Unterdessen geraten wir auf eine falsche Fährte. Man erzählt uns, dass es in diesen Gegensätzen und Kämpfen um Kulturen, Religionen oder Rassen gehe, dass sie den geschniegelten und gebügelten, überkommenen Identitäten unserer Vorfahren und ihrer angeblichen Unvereinbarkeit mit den geringfügig anders geschneiderten Identitäten gewisser anderer entspringen.

Das ist nicht wahr, und es hindert uns, gemeinsame Sache zu machen. Dieser Verhinderung wollen wir mit dem Begriff Volksfronten unter Einbeziehung des darin mitschwingenden Unbehagens entgegentreten. Eigentlich ist die Sache ganz einfach. Nicht einfach sind die reichhaltigen, komplexen, vielschichtigen künstlerischen Gesten, die daran anknüpfen – die Projekte, Performances, Installationen und philosophischen Debatten. Wir hoffen, dass Sie sich Zeit für sie alle nehmen werden. Seien Sie mit uns in diesen drei leidenschaftlichen Wochen! Wir hoffen, uns in den kommenden Jahren mit Ihnen auf viele weitere geistige Wagnisse einzulassen.

Laibach’s Sound of Music

Foto: Laibach, Cover: Poster für Laibach’s Sound of Music, 2018, Design: Metastazis

Der steirische herbst slowenische herbst ’18 eröffnet Volksfronten mit Laibachs Version eines der weltweit erfolgreichsten Filme, den hierzulande keiner kennt. Aber morgen wird sich das geändert haben.

Morgen geht nämlich alle anders als sonst los: die Eröffnungsrede von Ekaterina Degot gibts um 17:00 am Europaplatz vor dem Grazer Hauptbahnhof. Danach zieht die Underneath the Above Parade #1 des Bread & Puppet Theater durch die Keplerstraße in die Innenstadt bis zum Mariahilferplatz. Bin neugierig, ob das barrierefrei mit dem Rollstuhl zu schaffen ist.

Der Eröffnungstag wird schließlich mit Laibach’s Sound of Music gekrönt. Beginn ist pünktlich um 21:00 auf der Kasemattenbühne. Hier ein Sound Sample, „Spectre“ (2014) auf Spotify.

Im Ausland bin ich immer wieder darauf angesprochen worden, also musste ich mir den Film natürlich selbst ansehen und bin sehr gespannt, wie Laibach ihn umsetzt. Brachial, kitschig und laut, nehme ich an.

Singen wir mit der Trapp Family „Climb every mountain …“

Stattegg-Ursprung, am 19. September 2019

Eröffnungstag steirischer herbst ’18

Laibachs Sound ist unverkennbar, deren politische Botschaft verschwommen

Wer sich auf den Weg machte, um etwas über „The Sound of Music“ in den Kasematten zu lernen, musste sich zwei Stunden später so klug wie zuvor an den Abstieg vom  Schlossberg machen. Vielleicht konnte man sich über den Film mit den zwei Erzählebenen, der Geschichte der Salzburger Familie Trapp und ihrer Flucht in die USA, sowie unterschwelligem Faschismus in Österreich auf der Party danach im Dom Im Berg mit den Musikern unterhalten, sofern sie ihn überhaupt gesehen hatten. Fakt ist: Laibach’s Sound of Music war bloss eine unterhaltsame Musikrevue, der ihre umstrittene Beschäftigung mit Heimat, Nationalsozialismus und Faschismus zugrunde gelegen hat, bevor sie eine Produktion für Korea als „zensurierte“ Auftragsarbeit für den steirischen herbst adaptierten und noch ein paar oberflächliche und unaufällige Referenzen zum „österreichischen“ Hollywood-Film hinterlegten.

Seit ich die Band vor mehr als zwanzig Jahren bei den Wiener Festwochen gesehen hatte, war die Fliegermütze Markenzeichen des Frontmannes mit der Grabesstimme. Bekannt wurden die Mannen aus Ljubljana mit einem Cover von „Live is Life“, dessen Video im Stil der Hitler-Jugend gedreht war. Meiner Meinung nach war ihr Umgang mit Relikten aus der Nazi-Ära oft ein Grenzgang. Allerdings es ist auch ein Privileg der Kunst, zu verunsichern. Hier waren sie alle nett gekleidet und das Zusammenspiel der Stimmen von Boris Benko und Marina Mårtensson klang überzeugend froh und ergänzte sich gut durch die tief eingeworfenen Laute von  Milan Fras. Irgendwann klang es abgelutscht, denn 90 Minuten wurden lang und es wurde zu kalt in den Kasematten. Das letzte Werk, „Also sprach Zarathustra“ (2016), konnte mich noch von der Retroavantgarde der Band überzeugen, diese seichte Revue nicht.

Es sagt ja auch niemand, dass die gestrige Aufführung zur Eröffnung des steirischen herbst ’18 samt Streichorchester und Kinderchor tatsächlich an eine Umsetzung der Handlung des Films gebunden war. Dieser Gedanke entsprang nur meiner Erwartungshaltung, weil ich im Ausland vielfach darauf angesprochen wurde und eine Auseinandersetzung der Inlandsösterreicher mit dem Thema überfällig war. Fakt ist, dass vor den musikalischen Szenen eine Präambel verlesen wurde, worin heftige Kritik an Österreichs blau-schwarzer Politik und somit an den Österreicherinnen und Österreichern geübt wurde, die sie gewählt haben. Das vorweg gesagte wurde zwar wieder entschärft, indem es der Philosoph Slavoj Žižek in seiner „Predikt“ als Fiktion ausgab, aber die klare politische Haltung änderte nicht einmal sein philosophischer Exkurs über die Liebe. Die bunten Visuals, von kitschigem Cliché bis militaristischer Ikonografie aus Korea passten farblich gut in die Kasemattenbühne. Ein letzte Referenz auf die Freilichtbühne der Salzburger Festspiele.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Mit dem Rollstuhl zum Konzert zu gelangen, war eine andere Sache – eine Herausforderung der besonderen Art. Ein erster Versuch mit dem Auto auf den Berg zu fahren musste abgebrochen werden, weil die Straße wegen Bauarbeiten gesperrt war. Der Lift war ebenso außer Betrieb. Ein Anlauf mit der Schlossbergbahn war schließlich erfolgreich. Die Bahn hat auf beiden Stationen einen Treppenlift und freundliches Personal. Von der Bahn bis zum Eingang ist der Weg für Rollstühle allerdings ein Wahnsinn. Die tiefen großen Kopfsteine mögen zwar gut aussehen, sind aber unüberwindbar, weshalb ich auf Krücken hüpfen musste. Wenn man selbst Betroffen ist, wird einem Barrierefreiheit plötzlich zu einem enorm wichtigen Begriff.

Stattegg-Ursprung, am 21. September 2019

La Strada Graz Festival 2018

Jedes Jahr verspricht uns Werner Schrempf Superlativen aus der Welt des Straßen- und Figurentheaters, vor allem auch aus dem Neuen Zirkus, dessen scheinbare Schwerelosigkeit und präzise Koordination der Bewegung mich so fasziniert. Es mag vielleicht an meiner eigenen zunehmend schwindenden Beweglichkeit liegen, welche die Bewunderung der gesunden Artisten und Tänzer immer größer werden lässt. Wie auch immer, lassen wir das große Staunen einfach zu, wenn uns La Strada Graz von 27. Juli bis 5. August 2018 verzaubert. Denn der Intendant hält immer, was er verspricht.

Opernring 12/I
8010 Graz
T. +43 316 69 55 80

La Strada ist eine Arbeitsgemeinschaft des Vereines zur Förderung von Straßenkunst und Figurentheater in Österreich und der Firma die ORGANISATION, Büro für Gestaltung und Veranstaltungsorganisation GmbH.
Wer laufend am Laufenden sein möchte, dem steht die La Strada-App als gratis Download zur Verfügung.

Eröffnung

_mg_7539_NikolaMilatovic
Gerald Ganglbauer bei der La Strada Eröffnung © Nikola Milatovic

Standing Ovation gibt es wiederum von der Eröffnung am Freitag in der Oper zu berichten, wo das französische Kollektiv Compagnie XY mit Il n’est pas encore minuit… frei nach André Heller „fliegende Menschen“ kreiert hatte,  ganz ohne Trapez. Ça va? Mais oui!

Nur noch bis 3. August zu sehen!

Fotos von Nikola Milatovic

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Stattegg-Ursprung, am 24. Juli 2018

Zirkus im Augarten

Bestias – Baro d’Evel Cirk Cie

Zum Stamm der „Bestias“, so der Titel der Produktion im Zirkuszelt gehören Brieftauben, Pferde und Menschen, und sie erzählen eine Geschichte, die einen Anfang hat und ein Ende. Oder doch nicht? Dem französisch-katalanischen Duo Camille Decourtye und Blaï Mateu Trias gelingt es jedenfalls mit „Neuem Zirkus“, also einer wohldosierten Mischung aus inszenierter Akrobatik, zeitgenössischem Tanz und Gesang, die Zuseher im Bann zu halten, auch wenn die Geschwindigkeit variiert und man im babylonischen Kauderwelsch manchmal den Faden verliert.

Es wird fetzig zur live gespielten Musik von Nicolas Lafourest, es wird wild gestritten, es wird sinnlich, auch zart und leise, wenn die zwölfjährige Tochter der beiden Zirkusdirektoren kleine Auftritte hat, und spassig, wenn sich die schlaksige Noëmie Bouissou, die schon mit sieben Jahren in die Zirkusschule in Toulouse ging, verbiegt als hätte sie keinen Knochen im Körper.

Erst in einem Gespräch mit jener Artistin nach der gelungenen Aufführung wird mir klar, warum gerade aus Frankreich, Katalonien oder dem französischen Kanada so viel Zirkuskunst kommt: Weil es dort Schulen dafür gibt. Das Ergebnis sind großartige Kollaborationen und innovative Projekte, wie jenes von Baro d’Evel Cirk Cie. Wir können La Strada dankbar sein, dass Graz in den Tourdaten der Compagnie aufscheint.

Noch bis Sonntag. Nicht versäumen!

Open  Dance

So ist La Strada authentisch: Tango die halbe Nacht

Zum Ausklang des Abends gab is noch Tango auf der Kaiserfeldgasse, aber kaum Platz zum Tanzen. Rudi Lackner vom Grand Café Kaiserfeld und Werner Schrempf waren jedenfalls sehr zufrieden mit den Besucherzahlen.

Stattegg-Ursprung, am 2. August 2018

La Belle Image

Big band French Style – Musiker in Bewegung

Das war ein großartiger Spass am Freiheitsplatz, „a Gaude“ trotz Affenhitze. Die Tanzbeine zuckten, die Lachmuskeln wurden trainiert und auch die Hände hatten zu tun. Bewegung, wie vom Arzt verordnet. Das geheime Rezept: Lateinamerikanisch inspirierte Musik einer gut synchronisierten tanzenden Brass Band. Neben mir schwitzte die Komponistin „aus Solidarität“, ein Wort, das dem deutschen Kulturbetrieb fremd geworden ist – hier ist jeder gegen jeden – wo hingegen in Frankreich der Begriff „compagnie“ blüht. Künstlergruppen überall.  Gut drauf, lustig und locker, keine „Tall Poppies“, Hör-, See- und Spielvergnügen für Publikum und  Künstler gleichermassen. Das wurde mit viel Applaus belohnt und verschwitzte Menschen vor und hinter der Bühne, die nur ein symbolischer Strick am Boden markierte, zerstreuten sich mit strahlenden Gesichtern wieder über die Straßen der Stadt.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

NoFit State Circus and Motionhouse

Neuer Zirkus: Die Show der Briten nannte sich schlicht „Block“

Was einfach begann – als Spiel mit großen grauen Blöcken – wurde schließlich zum Bau eines wackligen Turms, auf dem die Truppe herumturnte als wäre er ein solides Bauwerk, bis sie ihn im großen Finale umstürzten. Das war einfach gesagt das, was sich in 40 Minuten am Grazer Hauptplatz ereignete, und in Weiz und Stainz, weshalb sehr viele Zuseher bei freiem Eintritt großartige Akrobatik erleben durften, von der sie noch lange erzählen werden.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Stattegg-Ursprung, am 3. August 2018

Spoken Word (und Musik)

Poetry Slam im Megaphon-Café

Anita Brodtrager wird immer umtriebiger. Als ob „pangea“ in der Postgarage Graz nicht schon genug gewesen wäre, hat der eifrige junge Rotschopf nun im gemütlichen Megaphon-Café im Auschlößl eine Reihe von drei Wohlfühl-Gigs gestaltet, die jeden Dienstag von 19:30 bis 22 Uhr halb drinnen im Café, halb draussen im Grünen stattfinden.

Precious Chiebonarm Nnebedum © 2018 Gerald Ganglbauer

Der erste Abend widersetzte sich dem Regenwetter lang genug und bot  kurzweiligen Poetry Slam von Agnes Maier, Klaus Lederwasch und Precious Chiebonarm Nnebedum, untermalt von 3/4 der Indie Band Candlelight Ficus, auf die ich in Gangway Music noch eingehen werde.

Nächsten Dienstag (17. Juli) steht Bossa Nova mit Dajana Omerdic und Stefan Oser am Programm und übernächsten (24. Juli) „Reggae im Wiener Dialekt, Balkan-Flamenco und Arbeiterlieder“ mit Hans Breuer und Efe & Ege Turumtay. Übrigens, der Eintritt ist frei.

Candlelight Ficus LIVE im Megaphon-Café Graz: Niki Waltersdorfer, Fridolin Krenn und Simon Bregner © 2018 Gerald Ganglbauer

Bachmann Preislesen

Buchcover
Bachmannpreislesen 1989 im ORF Landesstudio Klagenfurt, ein Foto von Helmut Utri

Sonntag, 8. Juli 2018 wird zu einem Datum, das eine Handvoll jüngerer Autoren nicht so schnell vergessen wird, aber bald vergessen sollte. An jenem Tag in der Gegenwart Kärntens – lange nachdem Ingeborg Bachmann in diesem Land zugegen war – wird in ihrem Namen eine Menge Geld und Ruhm ausgeteilt. Die Preisverleihung findet heute feierlich, vom ORF ausgeweidet, zum 42. Mal statt. Der in Berlin lebende Exil-Grazer Christian Ankowitsch berichtet für die Deutschen, denn dort ist das Zielpublikum, der große Bruder wird wohl auch saftig absahnen.

Texte lassen sich schwer oder gar nicht nach ihrem Vortrag allgemeingültig bewerten, so sehr sich die Juroren auch bemühen, es bleibt inszeniertes Theater. Ich selbst war auch einige Jahre hindurch als Textscout für den Verlag dort, aber irgendwann verlor sogar der „Telefonbuchkritiker“ Marcel Reich-Ranitzky Unterhaltungswert. Da half es nix, dass sich die Buffets bei den offiziellen Empfängen der Politik unter feinster kulinarischer Last bogen und reichlich Alkohol den Paparazzi und sonstigen hohen Gästen die Optik mit Seitenblicken weichzeichnete.

Österreichische Autorinnen und Autoren scheinen Klagenfurt mittlerweile zu meiden. Aber Teilnahme kann ich nicht verurteilen, da die Chance auf Öffentlichkeit, ein hohes Preisgeld und nicht zu unterschätzende Werbung für ihre Bücher eine starke Versuchung darstellt. Auch wenn unser Juror Klaus Kastberger mit Sarkasmus auf so manchen Text reagiert. Dazu sitzt er ja dort – und nicht die Autorinnen und Autoren. Auch wenn die internationale Presse mit mildem Interesse auf die Tage der deutschsprachigen Literatur blickt, habe ich mehr von einem Poetry Slam.

Tanja Maljartschuk gewinnt Bachmannpreis 2018

Inzwischen zwitschern es die Tweets von den Bäumen: Die Bachmannpreis-Gewinnerin 2018 heißt Tanja Maljartschuk, Bov Bjerg gewann den Deutschlandfunkpreis. Nach vier Wahlgängen gewann Özlem Özgül Dündar den KELAG-Preis. Drei Wahlgänge brauchte es für 3sat-Siegerin Anna Stern. Raphaela Edelbauer gewann den Publikumspreis.

40 Jahre Karlheinz Miklin Trio

Es ist schon seltsam, wenn einem das Alter unverblümt vor Augen geführt wird. Wenn etwa die eigene Matura schon so lange zurückliegt, dass man die Zeitspanne in Jahrzehnten angeben könnte, verdrängt man es mit Leichtigkeit. Wenn man andererseits aber zugeben muss, dass man zu jener Zeit ein Jazz-Trio im längst nicht mehr existierenden M59 gesehen hat, das heuer bereits 40 Jahre seines Bestehens feiert, fühlt man sich wirklich alt.

Es sei denn, man macht es wie wie Otmar Klammer, der den April 1978, das war der Monat, in dem es das erste Konzert des Karlheinz Miklin Trios gab, mit Hamburg verbindet, wo im April 1978 der 1. FC Köln durch einen 5:0 Sieg über den FC St. Pauli zum dritten Mal Deutscher Fußballmeister wurde.

Wie das Beispiel aus dem Sport zeigt, lässt sich je nach Standpunkt alles relativieren. Ewald Oberleitner – Heimo Steps nennt ihn den Herzmuskel der Grazer Jazzszene – sieht man seine 80 überhaupt nicht an und der Bandgründer mit Kärntner Abstammung  Karlheinz Miklin ist auch schon 71. Den beiden Haudegen der Originalbesetzumg scheint das Alter beim musizieren gar nichts auszumachen, nur in den Zwischenräumen wirkt Miklin irgendwie gesundheitlich geschwächt, will es (sich) aber nicht eingestehen.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Zugegebenermassen war es heiss und schwül im Saal, Miklin nannte es eine Sauna, obwohl Hausherr Otmar Klammer den größten Ventillator in Betrieb genommen hatte, den es zu kaufen gab. Ein Umstand, dem das Stockwerk mit „Hitzeferien“ bis September begegnet. Im Herbst soll es kräftig weitergehen.

Zurück zur Besetzung: Der dritte Mann im Trio ist nach einigem Wechsel nun Miklins Sohn, Karlheinz Miklin Jun. Schlagzeuger bei The Base, und mit 47 genau zwischen Karlheinz Sen. und der nächsten Generation von Miklins, die auch schon bei Rockkonzerten gesichtet wurden. Er ist Mountainbiker, fit wie ein Turnschuh und somit die perfekte Ergänzung.

Zur Feier des 40ers hat Miklin das Trio vorübergehend auf ein Sextett aufgestockt und sich drei Herren geborgt, die in ihrer Virtuosität dem Meister in nichts nachstehen: Gerhard Ornig (Trompete und Flügelhorn), Daniel Holzleitner (Posaune) und Anil Bilgen am Klavier, allesamt Profis, die in anderen Besetzungen schon von sich hören liessen und mit den Kompositionen von Miklin eine starke Affinität bewiesen haben.

Kurz vor Mitternacht gab es langen Schlussapplaus und nach einer Zugabe waren alle zufrieden und erleichtert, dass sie ein Bett erwartete. Trotz nassgeschwitzer Hemden und Heimfahrt bei heftigem Gewitter in strömendem Regen war es ein sehr angenehmer Abend, wie man ihn von Miklin erwartet und von feinem Jazz gewohnt ist.  Also bitte weitermachen, meine Herren.

Stefan Weber ist tot

Die Jüngeren wissen vielleicht nicht, woher sie den Namen kennen sollten, für meine Generation war er der komplett überdrehte schrille Bandleader von Drahdiwaberl, schon zu Lebzeiten eine Legende, hatte er 1969 doch die „wildeste Band Österreichs“ gegründet und bei allen Auftritten ordentlich die Sau herausgelassen. Nun ist er tot, 71-jährig gestorben und ich hoffe, er kann es mit den Engerln wieder ausgelassen treiben, denn in den letzten Jahren hatte er mit dem Scheiß-Parkinson keinerlei Lebensqualität mehr. Ich weiss nur zu genau wovon ich spreche, von seiner Tochter Monika und im Vorjahr habe ich ihn noch im Spital besucht. Aber „Gespräch“ gab es leider keines. Mich haben nur zwei dunkle Augen angestarrt als ob er mich verstehen würde, aber seine Zunge konnte keine Worte mehr formen. Ich war bei ihm, um die Zusage zu erbitten, seinen „Parkinson Blues“ übersetzen und als Duett aufnehmen zu dürfen. Monika sagte mir danach, dass er sich gefreut habe und mit meiner Übersetzung und dem Projekt einverstanden sei. Das war Parkinson im letzten Stadium und ich habe lange darüber sinniert, wann es wohl bei mir so weit sein würde, – und das waren keine guten Aussichten.

Schade, dass er seinen Blues nicht mehr auf der Parkinsong CD hören kann. Meine tiefe Anteilnahmne geht an Monika und die Familie, aber jetzt hat ers wieder gut, da oben mit den Engerln, denn unten habens ihn doch nicht reingelassen. R.I.P. Stefan.

Anti-House 4

Sa., 12. Mai 2018, Beginn: 20:30

ANTI-HOUSE 4  (US)

Ingrid Laubrock – tenor sax
Mary Halvorson – guitar
Kris Davis – piano
Tom Rainey – drums

 

Ingrid Laubrock’s ANTI-HOUSE

Mit der Band Anti-House hat die Saxophonistin Ingrid Laubrock einst wohl so etwas wie ihre Dreamband entdeckt, finden sich darin doch lauter prominente Musiker, die heute – zumindest im Fall der einzigartigen Gitarristin Mary Halvorson und der Pianistin Kris Davis – als die Shootingstars einer neuen, von Brooklyn aus operierenden kreativen Jazz-Szene gehandelt werden.

Laubrocks Musik ist in den vergangenen Jahren geradewegs exponentiell gewachsen, aber es gibt noch immer Passagen bei Anti-House, die stark mit ihrem Album Forensic aus dem Jahr 2004 in Resonanz treten, ein Album, das bereits ihr Erscheinen als originelle Solistin und profunde Bandleaderin ankündigte.

Die Grooves von Anti-House sind zersplitterter und flüchtiger und bewegen sich vornehmlich auf einer abstrakten Ebene.

Laubrocks Saxophon-Klänge haben in der selbstbewussten Band Anti-House an Frische und Abgeklärtheit gewiss gewonnen und sind nicht mehr allein dem Experiment verpflichtet. Nur wenige Saxophonisten besitzen das enzyklopädische Vokabular von Laubrock, und noch weniger können sich darin mit solcher Leichtigkeit oder Eloquenz bewegen.

Laubrocks Quartet Anti-House ist in dieser Luxusbesetzung ein Wasserfall von rauschender abstrakter Schönheit, bisweilen sogar ziemlich wild.

Otmar Klammer

THE Big BASE Band

The Base versus Jazz Orchester Steiermark

Mit Norbert Wally bin ich schon seit Jahren befreundet, dennoch war ich skeptisch, als er mir von der Kooperation seiner Band, THE BASE , mit der Big Band von Sigi Feigl erzählte. Nachdem ich in der Generalmusikdirektion die 20 Mann (nein, 19 Männer + 1 Dame) gesehen und gehört habe, bin ich jedoch absolut überzeugt vom Erfolg dieser Fusion.

Der Einsatz von Bläsern war den Indie-Rockern nicht fremd, gibt es doch in zahlreichen Stücken der Band Trompete und Posaune von Imre Lichtenberger Bozoki. Ein Vielfaches an Bläsern mit Rhythmusgruppe Keyboard und Bass, neu arrangiert und notiert, ergab einen rundum perfekten Klangkörper, der sich behutsam Wallys Gitarren und seiner einzigartigen Stimme fügte.

Und dann waren da auch noch  die Solisten, die ich teilweise als Berndt Luefs Musiker kannte, allen voran der großartige Patrick Dunst. Dass sich ein Jazz Orchester so gut von sanften Balladen bis zu heftigsten Dreschern mit Rock verbinden konnte, war ein geniales Hörerlebnis.

Die allseits bekannten Hits der Band waren gut gewählt, vom ältesten Song über seine fortlaufend nummerierten Girlfriends zu „Malibu Stacy“, „Buffalo People“ (16 Songs in Self Defense) und meinem persönlichen Favorit „I Bet It Rains“ (Where Is My Weather) bis zum gesuchten VJ aus dem Disco Bazaar und weiteren wohlfeilen Tunes. „The Rats“ (Secret Second Thoughts) bildeten den passenden Abschluss, denn auch nach zwei Stunden wollte noch keiner das Schiff verlassen.

Die beiden Auftritte wurden mitgeschnitten um daraus ein Live Album zu produzieren. Eine großartige Idee für jene, die nicht dabei sein konnten. Kauft  ein Stück Musikgeschichte, das nur noch von Sigi Feigls Hilfsbereitschaft übertroffen wurde, als er mir eigenhändig (und ohne mich zu kennen) seinen Bürosessel holte, als klar wurde, dass ich mich mit meinen Rückenschmerzen unbedingt hinsetzen musste, wenn ich das Konzert zur Gänze genießen wollte. So konnte ich  schmerzfrei zuhören. Danke, Sigi!